Pop Music von Robin Scott alias „M“ – Das Video könnte glatt als Werbung für die Münchner Stadtwerke durchgehen.
Als ich klein war gab es einen Charthit, der hieß: „Pop Music“. Ich wußte nie von welchem Interpreten. War mir auch Wurst. Ich mochte den Song. Jetzt, während ich den Artikel hier schreibe, bin ich meiner Neugierde erlegen und hab‘ nachgesehen: Die Band hieß „M“ und kam aus England: „Pop pop pop music, everybody’s talkin‘ bout pop music“. Vor allem die Tatsache, dass der Name meiner Heimatstadt München prominent in einer Textzeile auftauchte hatte mich begeistert: „New York, London, Paris, Munich – everybody’s talkin’bout Pop Music – Talk about: Pop Music – Talk about: Pop Music – dum dadadaaadaaaaa dumm dadadaaaadaaaaa….“
Die 70’er habe ich leider nicht so ganz bewusst erlebt, dafür war ich zu klein. Aber es muss großartig gewesen sein. Freddy Mercury im Glockenbachviertel, Giorgio Moroder im Musicland Studio, Mick Jagger und Keith Richards besuchen Uschi Obermeier in Schwabing, Livemusikjazzwahnsinn in der Occamstrasse und solch‘ne Sachen.. Gott wie gerne hätte ich diese Luft mitgeschnuppert.
Dabei war ich einer derer, die dieses Paradies mit ihrem Massengeschmack bald austrocknen sollten: Ich war fanatischer Hip Hop Fan der ersten Stunde und hätte zusammen mit meinen pupertären Genossen fast einen Laden in der Occamstrasse auseinandergenommen, als „Grandmaster Flash and the Furious 5“ kurzfristig ein Konzert absagten und die unsäglichen „Münchner Freiheit“ als Ersatzact auftreten sollten mit eckigen E-Gitarren, blonden Glamrockmatten auf‘m Kopf und bunten Aerobic-Hosen am Arsch! Ging halt gar nicht.
Dennoch kann sogar ich als Old School Breakdancer von einer Textpassage in dem Hit „Planet Rock“ von Africa Bambaataa & The Soulsonic Force berichten. Da wurde wieder einmal neben den bekanntesten Weltmetropolen auch München aufgezählt, und zwar in der legendären Passage: „Munich rocks the Planet Rock“. Da machte das Electric-Boogie-Zappeln spaß! Aber dann kamen die 90’er und haben uns schnell zu verstehen gegeben, dass es nun wirklich zu Ende war mit der Musikmetropole München (ohne Dj Hell jetzt zu nahe treten zu wollen…).
Es gibt jedoch noch Relikte von Authentizismus aus der guten alten Zeit, die in den trockenen Jahrzehnten die Freakflagge unbeirrt hochgehalten haben, aber man muss schon genauer hinsehen, um sie wahrzunehmen. Kennt ihr z.B. diesen dürren, älteren, bebrillten Mann mit den strähnigen, leicht verfetteten und schon graumelierten Haaren – in der einen Hand die obligatorische Jutetüte, aus der er unaufhaltsam seit Jahren seine selbstgebastelten A4-Plakate zieht und an die Wände klebt? Oft hat er nicht genug Tesafilm dabei und hängt seine Konzertwerbemittel einfach an einem Eck unterhalb eines anderen Plakates dazu, den Rest des “fremden“ Tesastreifens verwendend. Die Plakate, die er entwirft sind im multiplen Fotokopierverfahren entworfen, mit Zeitungsausschnitten, Fotos von MusikerInnen und dem unverwechselbaren Schriftzug eines Bandnamens versehen: „Embryo“.
Der unscheinbare Mann heißt Christian Burchard und steht seit Jahrzehnten hinter dem Vibraphon und wackelt hippiemässig mit dem Kopf, während er die komplexesten Melodien spielt, die er aus dem afghanischen, pakistanischen, indischen, oder türkischen Musikraum rezitiert und mit seinem eigenen Krautjazzformat mischt. Die Band funktioniert im Grunde wie ein natürliches Biotop. Myriaden von talentierten MusikerInnen kommen und gehen. Die Besetzung verändert sich ständig und ist immer wieder gespickt mit Gästen aus aller Herren Länder, darunter Jazzgrößen wie Mal Waldron und Charlie Mariano, oder junge Pophelden wie Nick Mc Carthy von Franz Ferdinand u.v.m.
Seit 1969 existiert die Band und ist seit je her mit demselben Eifer unterwegs, in Europa, Asien und Afrika, gibt seit Jahren ihr Wissen an musikinteressierte Menschen weiter und hat vor kurzem erst eine Antologie zum 40’sten Bandbestehen auf Trikont herausgebracht, die übrigens erstklassig geworden ist, wie so ziemlich alles, was ich bisher an Produktionen von Embryo bezogen habe (http://www.embryo.de).
Aber wozu erzähle ich das alles denn? Im Grunde, weiß ich doch, was jetzt die Mehrheit von euch denkt: „Embryo? Willst du uns jetzt was über die alten Hippies erzählen?“. Mit Verlaub ja – weil ich diese Phase der deutschen Musikgeschichte besonders interessant finde. Vor allem, wenn man sich mal ansieht, welche Rolle München in ihr spielte. Bands wie Ammon Düül und Embryo sorgten regelmäßig für Bewegung. München galt neben Köln und Berlin als eine Hochburg des sogenannten Krautrock.
So vergingen und vergehen die Jahre und Millionen von Stunden in den Übungsräumen und Studios dieser Stadt. Viele von uns, kennen solche Typen, die seit Jahren tagein tagaus sich nur mit Musik beschäftigen, sich freuen über jeden kleinen Gig, an dem sie ihr Können präsentieren können und zufrieden sind mit ein paar Groschen für ihr Lebenswerk. Diese Menschen will ich an dieser Stelle mal würdigen, denn sie sind die Antriebsmotoren für das, was meiner Meinung nach zu den wichtigsten Gütern einer modernen Kulturmetropole zählt (abgesehen davon, ob man München als eine solche sehen will, oder nicht), nämlich die Livemusikkultur.
Um eine solche angemessen gedeihen zu lassen, bedarf es meiner Meinung nach nicht nur der Bühnen und Übungsräume, sondern auch einer lebendigen Szene. Eine solche braucht Orte, an denen sie sich zuhause fühlt. Eine Umgebung, in der die Akteure nicht nur als Mieter, Darbieter und Dienstleister ihr Dasein fristen, sondern als ein wesentlicher Bestandteil einer ureigenen Stadtkultur, als Teil eines lebendigen Organismus glänzen können – eines Organismus, der ständig wächst, wuchert, neue Triebe entwickelt. Orte, an denen man einfach mal sein kann, wer und was man ist.
Ohne das gibt’s eben keinen Planet Rock!
Erschienen in der 13. Ausgabe des „Gaudiblatt“ (September 2012)
www.gaudiblatt.de