Was sollen wir Gottlosen tun?

Ich bin Gottlos. Zumindest glaube ich nicht an einen genormten, einzigen Gott abrahamitischer Definition. Innerhalb einer Konstellation innerhalb einer heiligen Dreifaltigkeit finde ich ihn umso dubioser. Auch, dass er männlich sein soll, stört mich. Meist ist er noch dazu auch noch weiß. Aber auch wenn er eine Frau wäre und schwarz, oder farbig, würde ich ihn/sie nicht ernst nehmen – als Kunstfigur wohl schon, aber nicht als Gott.

Jetzt war Gott für mich schon immer ein schwieriger Begriff. Je mehr ich mich von ihm entfernte, kamen andere Gottheiten ins Spiel, die mir und auch vielen anderen Ersatz boten: der Wohlstand zum Beispiel, meine Rechte und Möglichkeiten als Bestandteil einer liberalen Ökonomie, oder die Sicherheit, der Glaube an meine Freiheit, an meine individuellen Menschenrechte.

Bis zu einem bestimmten Grad hat man die auch. Aber wenn ich mir ansehe, was mit Julian Assange gerade passiert, dann denke ich: diese Rechte existieren auch nur bis zu einem bestimmten Punkt. Wenn man diesen Punkt überschreitet, stößt man an die Glaswand eines geschlossenen Gefäßes und dieses Gefäß trägt seit Jahrtausenden einen Namen: „Angst“.

In der Zwischenzeit gewinnen die VertreterInnen der abrahamitischen Religionen und der Kulturwelten, die an diesen heften, immer mehr an Terrain. Mit Ausnahme der Christen in Europa. Die werden immer weniger. Aber für die gibt es eine Ersatzreligion, die auf eine gemeinsame „weiße Identität“ beruht. Auch diese bedient sich der christlichen Religion als Legitimationsstütze. Aber im Grunde geht es nur um rassistisches Elitärdenken.

Die Religion als Basis von Kulturräumen steht im Öffentlichen Diskurs immer mehr im Vordergrund. So müssen sich VertreterInnen des Islam oft für radikale Islamisten rechtfertigen, die bezichtigt werden, die westliche Welt zerstören zu wollen. Umgekehrt predigen viele Imame in Moscheen das selbe über Vertreter des Christentums und des Judentums. Das sind große Apparate, die leider sehr für den Machtmißbrauch geeignet sind und auch schon immer waren. Ich will sie nicht verteufeln und auch nicht die Menschen, die tagtäglich in tiefem Glauben ihr wertvolles Tagwerk verrichten. Es geht mir nur um die Religion als Institution.

Man arbeitet immer mit diesem Sinnzusammenhang: „wenn die Religion bedroht ist, dann ist es auch die Kultur“. Dabei ist es genau umgekehrt: Die menschliche Kultur ist die Basis unseres Lebens. Wenn diese bedroht ist, dann kann es auch keine Religion geben. Jedoch ist unsere Kultur leider auch die Basis für Machtmißbrauch, Kriege, Rüstungsindustrie und somit für all die Zerstörung, die wir widerum selber anprangern.

Es sei denn, wir schaffen es, Räume zu kreieren, in der man die Kultur der Menschheit endlich aus der Steinzeit holen kann. Aber dafür brauchen wir in erster Linie keine Religion, keinen Wohlstand, kein Notre Dame, keine Moschee und keine Synagoge. Dafür brauchen wir Herz, Seele und Verstand.

Für Herz, Seele und Verstand ist in den herkömmlichen Machtstrukturen kein Platz. Deswegen denke Ich, dass wir uns von diesen befreien müssen. Dafür müssen wir uns aber auch Räume und Plattformen schaffen, in denen „wir“ uns als „unabhängige humane Wesen“ artikulieren können. Will damit meinen: nicht nur für Religionen muss Platz sein, sondern auch für uns „Freigeister“, die wir uns von diesen überkommenen Machtstrukturen, von Gott, Status und Wohlstand lösen wollen. Das ist durchaus legitim und erfordert eigene Strukturen.

Bisher kenne ich nur den Bund für Geistesfreiheit, der dieses Ziel institutionell verfolgt. Mag umstritten sein, ist aber zumindest eine Institution:

https://www.bfg-muenchen.de

Schmachtfetzen #7: Zeki Müren – „Gözlerin Doğuyor Gecelerime“

Eine der großen Superstars der türkischen Musik, der sich nie wirklich zu seinem Schwulsein bekannt hat. Aber wie auch? Ab den 50er Jahren bis zu seinem Tod in den Achtzigern galt der unter Staatsvertrag stehende Musikbeamte Zeki Müren als die Verkörperung der türkischen Musikkultur. Er war der scheinende Stern am Firmament. In dieser Position konnte er sich sowieso alles erlauben. Man könnte ihn als eine Art türkischen „Liberace“ bezeichnen. Insofern waren seine unzähligen Affären und Liebschaften durchaus bekannt. Aber wie das eben in einer patriarchalen und streng konservativen Gesellschaftsstruktur ist, greift in solchen Fällen die Schizophrenie der Doppelmoral. Trotz allem waren seine Outfits und extravaganten Auftritte all diese Verlogenheit allemal wert! Dieser hier gepostete Song gilt als ein Klassiker aus der Arabesk-Ära des Künstlers. Natürlich hat er ihn nur interpretiert. Die Komposition stammt aus der Feder des großartigen Yusuf Nalkesen, der Text hingegen kam von Halit Çelikoğlu.

Zeki Müren – „Gözlerin Doğuyor Gecelerime“

Ne mektup geliyor ne haber senden
Söyle de bileyim bıktın mı benden?
Her akşam güneşin battığı yerden
Gözlerin doğuyor gecelerime 4x

Geçilmez gurbetin sokaklarından
İçilmez suları pınarlarından
Öptüğüm o ıslak dudaklarından
Sözlerin doğuyor gecelerime 4x

Çileli doğmuşum zaten ezelden
Hasrete alıştım ne gelir elden
Yaşlı gözlerime baktığım yerden
Gözlerin doğuyor gecelerime 4x

Zeki Müren – „Deine Augen scheinen in Meine Nächte“

Es kommt weder ein Brief noch eine Nachricht von dir.
Sag doch: hast du mich etwa satt?
Von dort, wo die Sonne am Abend untergeht,
scheinen nun deine Augen in meine Nächte.

Die Gassen der Fremde sind schwer zu beschreiten.
Die Wasser ihrer Quellen sind untrinkbar.
Aus deinen feuchten Lippen, die ich küsste,
fliessen nun deine Worte in meine Nächte.

Ich bin doch schon mit Ungemach geboren,
habe mich an die Sehnsucht gewöhnt.
Von dort, wo du in meine feuchten Augen blicktest,
scheinen deine nun in meine Nächte.

800 Millionen für Notre Dame

Am 15.04.19 ist die Kathedrale Notre Dame in Paris abgebrannt. Massive Schäden sind dadurch am historischen Bau entstanden und wir stehen alle – imaginär oder reell – vor den brennenden Trümmern. Andächtig. Andacht ist wichtig in solchen Zeiten. Denn ein wichtiges Symbol ist schwer verwundet worden. Ein Symbol unserer Wertegemeinschaft. Natürlich ist der architektonische, historische Wert auch wichtig. Aber mehr als das, geht es um unser Selbstverständnis. Aber für was stand und steht denn Notre Dame? Notre Dame steht nicht nur für die Kirche und den christlichen Glauben, die heilige Mutter Gottes, etc.. Nein es steht natürlich für unsere westliche Zivilisation, für unsere weiße Zivilisation. Viele werden jetzt sagen: für europäische Werte, ideelle Werte, die Huldigung des menschlichen Verstandes, den Respekt vor dem freien Gedanken, Kunst, Kultur, etc. etc. etc..

Deswegen die Sorge! Der Brand vergegenwärtigt uns die Vergänglichkeit genau dieser Werte. Indem wir uns um das Symbol sorgen, das diese Verkörpert, sorgen wir uns auch um sie. Deswegen sind auch innerhalb von 2 Tagen sofort 800 Millionen Euro an Spenden zusammengekommen für den Wiederaufbau. Ganze 800 Millionen! in 2 Tagen!

Aber ist das alles, wofür Notre Dame steht? Nein! Notre Dame steht auch für das alte Europa, das überwiegend weiße Bewusstsein Europas. Es steht auch für das harte, das kühle Europa, das sich emotionslos abschotten kann, wenn es darum geht, andere Werte, wie Macht, Geld und Vermögen zu horten und zu schützen. Es steht für das mittelalterliche Europa, dem wir in einer obskuren Form immer noch verpflichtet sind. Vor allem aber steht Notre Dame für die Angst Europas – die Angst, die durch die eigene Gier am Leben erhalten wird. Die Angst davor, irgendwann einmal alles zurückgeben zu müssen, was man sich über die Jahrhunderte zu unrecht genommen hat. Ich glaube man ist eher bereit, in Höllenflammen unterzugehen, als sich der Last seines Gewissens zu ergeben.

Die 800 Millionen könnte man in diesem Zusammenhang auch als Ablass Zahlung betrachten. Der Ablass des 21. Jahrhunderts. Und Greta Thunberg ist so etwas, wie ein neuer Luther.