Sommertraum, Wolfsgruß, Fussball und Faschismus

Es hat nichts damit zu tun, dass ich Fussball nicht mögen würde. Ich mag lediglich den Rummel um diesen Sport nicht. Es wird überdimensional viel Geld damit umgesetzt, gewalttätige Proletenkultur gefördert, um dann im nächsten Atemzug das verbindende und völkerverständigende Element dieses Sportes in höchsten Tönen zu preisen. Mit Ende vierzig pensionierte Ex-Profis wie Kroos und Konsorten spielen sich vermessen zu volksnahen Lebensphilosophen auf und geben reaktionäre Lebensweisheiten und paranoide Statements von sich, die sie wie Lebensweisheiten darbringen. Ich denke darin äußerst sich vor allem die Frustration des frühen Ausscheidens aus der KO-Runde, die sich in einem Geheule um den verlorengegangenen Gemeinschaftssinn einer ehemalig so blühenden Leistungsgesellschaft äußert. Am Ende sind es dann natürlich die sogenannten „Migrant*innen“, die daran Schuld sein sollen. Der deutsche Fußballtrainer äußert sich etwas modrater und steigt deswegen zum Guru der Nation auf und wird gelobt für seine „Rede von bundespräsidialer Tragkraft“. Daraufhin stellte ich mir Nagelsmann als Bundespräsidenten vor und dachte mir: „Mal sehen, ob dem beim nächsten Staatsbesuch in der Türkei was besseres einfällt, als einen Dönerspiess als Staatsgeschenk mit zu nehmen?“
Zurück zum Thema: Wir erlebten gerade eine Europameisterschaft, die in Sachen Nationalkult, verbalen und physischen aggressiven Übergriffen kaum zu überbieten war. Nationalidentitäre Symbolik fand unverholen auf dem Rasen ihre Bühne, dargebracht von einem türkischen Nationalspieler. Die UEFA entschied ausnahmsweise mal richtig – wobei das im Falle der rassismusbezogenen Unbeliebtheit der Türkei im Westen sicher auch einfacher zu entscheiden war. Fakt ist aber, dass dieses Symbol (der sogenannte Wolfsgruss) zwar durchaus ein Symbol aus dem türkischen Nationalmythos ist und primär mit faschistischen politischen Bewegungen im 20’ten Jhd. nichts zu tun hat, aber von eben diesen Faschisten seit Jahrzehnten eingenommen und in der Türkei zum Symbol für Massaker und Morde an Minderheiten, wie der kurdischen und alevitischen, an politisch Andersdenkenden, Journalist*innen und Politiker*innen vor allem ab den 60’er Jahren bis in die Gegenwart geworden ist. Noch dazu ist dieses Symbol in der rechtsnational gelagerten Mafia des Landes seit langem ein gängiger Gruß und wird seit Jahren erfolgreich verharmlost und dadurch hoffähig gemacht. Genau das versucht man jetzt auch auf internationalem Parkett. Dessen muss man sich bewußt sein, wenn man als aussenstehende Kommentator*in sich dazu motiviert fühlt, eine Haltung zum Thema einnehmen zu müssen, ohne genaue Kenntnis über die neuere Geschichte der Türkei und vor allem kein grundlegendes Wissen über die Entstehung nationaler Mythen und Symbole im Allgemeinen zu haben.
Diese festigen sich meistens im 19 Jhd.. Im Zuge der Popularität der nationalen Ideologien in vielen Regionen der Welt werden sie kanonisiert, effektiviert und literarisch eingefasst, um einer nationalistischen Idee zu dienen. Das war nicht nur in der Türkei so, sondern in vielen Ländern der Welt. Ausgangspunkt dieser Bewegung ist aber vor allem Europa: Die französische Revolition war ihre Keimzelle, aber vor allem in Deutschland setzt sich die nationale Idee im 19. Jhd als Ideologie fest. Im Zuge der deutschen Orientmission Kaiser Wilhemls II. im Osmanischen Reich wurde nicht nur die osmanische Armee von deutschen Offizieren reformiert. Namhafte deutsche ultranationalistische Theoretiker wie Hans Human zum Beispiel haben offen Einfluss genommen auf politisch konforme Elemente innerhalb der osmanischen Administration, den Intellektuellen und auch der Armee. Der türkische Nationalismus ist stark beeinflusst durch den deutschen! Große Namen des osmanischen Militärs wie Mustafa Kemal Atatürk und Enver Pasha (ein Pionier der türkischen Ultranationalist*innen) gingen durch eine preussische Militärschule. Dies nur als kleiner Exkurs in die Geschichte. Solche Geschichten gibt es zu Hauf überall auf der Welt. Die großzahl von Nationalsymbolen, die vermeintlich harmlos daher zu kommen scheinen, beruhen in Wahrheit auf grausamer Historie.
Aber zurück zum Hauptthema: Ich glaube nicht, dass große Turniere dieser Art, sich nachhaltig dafür eignen, Gemeinschaft und Verständnis in der Gesellschaft zu fördern. Mit den nationalen Symbolen und Fahnen wird lediglich die Seperation nach vermeintlicher „nationaler“ Zugehörigkeit erreicht und auch öffentlich inszeniert. Die Reproduktion nationaler Zeichen und Symbole bestätigt nur althergebrachte Identitätssysteme und lässt sie immer wieder öffentlichkeitswirksam Auferstehen. Deswegen braucht man sich nicht wundern, dass durch sie nationale Rivalitäten und Rassismen immer wieder von neuem auf internationaler Ebene wieder zum vorschein treten, wie zum Beispiel im Falle der kroatischen, albanischen und serbischen Fans, die sich gegenseitig den Tod an den Hals wünschten, den österreichischen Fans, die unverholen das rassitische „Ausländer-raus-Lied“ von Sylt sangen und und und…
Kommen wir nun zu UEFA, FIFA und Konsorten: sie bieten die Plattform für diese stereotypen Identifikationsbilder, denn ihre Funktionäre wissen nur sehr genau, dass sich über die Ansprache der Massen und die Entwicklung möglichst einfach zu befriedigender Nachfrage ultimativ viel Geld zu machen ist. Insofern ist Nationalkult für sie ein sehr geeignetes Mittel, um ihre Milliarden zu schäffeln. Genau das ist es, was an diesem Fußballklamauk kritisch ist: Es geht alleine um den rücksichtslos zu generierenden Umsatz. Der Fußballzirkus ist das beste Beispiel für das reibungslose Zusammenwirken von Kapitalismus und chauvenistischem Nationalkult. Um das ganze für die Politik legitimierbar zu machen, wird ein bisschen Völkerverständigung und Buntheit behauptet, indem man die Bilder generiert, zu denen sich die euphorisierten Fans nur all zu gerne hergeben. Sie selber sind zwar die wichtigsten, aber gleichzeitig auch die Draufzahler*innen im Milliardengeschäft. Die Kommunen können sich im Großen und Ganzen kaum an dem Umsatz beteiligen, denn sie haben viel zu große Ausgaben. Den Königsanteil kassieren große Konzerne aus China und Khatar, die ihre Werbungen schalten, ganz groß als Sponsoren auftreten und diese Massenevents als Mega-Werbeplattformen nutzen. Zu guter letzt sind es schließlich die besagten Verbände, die die Werbeeinnahmen einfahren.
Der lokalen Gesellschaft bringt das rein gar nichts, außer ein bisschen Ablenkung und Aufregung in ihrem Sklavenalltag. Das ist ein ziemlich schlechter Deal. Deswegen boykottiere ich den großen Profifussball seit Jahren.
Dass die Türkei und Deutschland dieses mal früh ausgeschieden sind, hat mich besonders gefreut. Dadurch blieb das Riesentamtam erfreulicherweise aus, das uns sonst erwartet hätte – womöglich noch überdimensionale Selbstinszenierungen und dämliche öffentliche Dispute zwischen türkischen und deutschen Politiker*innen, Mediengrößen etc.. Özil und Erdogan hatten sich ja schon in Position gebracht. Die dämlichen Aussagen von diversen deutschen Fussballern, lassen nur darauf schließen, was sich im öffentlich/rechtlichen da Bahn gebrochen hätte – von den Ausschreitungen auf den Straßen ganz zu schweigen. Alles in allem kann man froh sein, dass der Blödsinn vorbei ist und man sollte sich überlegen, ob man sich das in Zukunft unbedingt nochmal antun will. Ich bin für einen wie gesagt für ein Boykott von überbewerteten sportlichen Megaveranstaltungen. Das aus für die Bewerbung Münchens als Olympiestandort vor ein paar Jahren hat gezeigt, dass es möglich ist: scheiß auf EM, WM und Champions Leage. Wenn, dann sollten wir Bürger*innen auch etwas davon haben – und zwar in materieller und ideeller Hinsicht. Vielleicht braucht es auch endlich mal alternative Sportverbände?

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