Wer produziert deinen Traum?

In der Zwischenzeit machten sich Traumwelten breit. Denn während all der Grausamkeiten die er die letzten Jahrhunderte erlebte, hat der Mensch nie aufgehört zu träumen. Träume von Einzelnen mutierten zu Massenproduktionen. Viele kennen es: wir haben Träume, von denen wir glauben, das sie einem individuellen Anpruch entspringen. Aber mal im ernst: das ist doch nur selten wirklich der Fall? Die meisten unserer Träume sind Fließbandware – produziert für die Massen. Und nur wenige können sie erfüllen. Aber alle Träumen wir weiter:

– den einen wurde ihr Lebensraum zerstört. Sie wollen nun ihre Heimaten verlassen und Richtung Westen ziehen. Sie träumen von einem sicheren Leben für die ganze Familie, von einem hohen Lebensstandard, wie sie ihn in mobilen Applikationen tagtäglich verfolgen. Viele von ihnen nehmen sogar nicht nur ihren eigenen, sondern den Tod ihrer gesamten Familie in Kauf – oft ertrinken sie auf der überfahrt jämmerlich im Mittelmeer.

– andere sind die Enkelkinder der alten Kolonialherren. Sie träumen von ihrer Identität, von ihrer Kultur, die untrennbar verknüpft sei mit Christentum, Humanismus und Zivilisation. Sie träumen davon, dass das alles zu ihnen gehört, wie die DNA in ihren Körpern. Sie träumen von einer Welt, die sich für sie nur zum guten entwickelt. Sie träumen von ewig wachsenden Märkten, vom Weihnachtsmann, vom Osterhasen und von Zimtlebkuchen. Sie werden wütend, wenn man ihnen auch nur einen Krümel von diesen Träumen streitig macht. Tod und Leid von Millionen von Menschen berühren sie schon auf humaner Ebene, aber sie wären insgeheim bereit, die Übel hin zu nehmen, nur um ihre kleinen Träume zu wahren und wenn es die eine Urlaubskreuzfahrt durch die Heimaten der Opfer ihrer Verschwendungssucht ist.

– ganz andere widerum sind die Gewinner*innen innerhalb der Weltordnung. Sie betreiben die Maschinen, mit denen grosse Träume produziert werden. Doch sind sie selber Getriebene, die bereit sind, für ihre ganz eigenen individuellen Träume große Opfer zu bringen. Sie haben den Anspruch, dass ihre Träume, Niemandes Träumen gleichen. Sie wollen einzigartig leben und auch sterben. Man könnte sie mit den zu Lebzeiten divinisierten Herrschern der Antike vergleichen. Sie wollen mit Superlativen assoziiert werden. Deswegen leben sie mit ihrem hart verdienten Geld im permanenten Extremzustand. Manche von ihnen setzen sich Lebensgefahren aus und bezahlen teuer dafür. Sie tauchen zum Beispiel in tausende Metern Tiefe, um im Rahmen einer extremtouristischen privaten Tauchmission das Wrack der Titanic zu betrachten und zahlen dafür ein Vermögen. Vielleicht wollen sie dadurch unsterblich werden, aber auch sie verrecken dabei in den Tiefen des Meeres jämmerlich. Wahrlich ein einzigartiger Tod! Das muß man ihnen lassen.

Alle beschriebenen Personen vereint jedoch die ewige Unzufriedenheit und die Angst, die sie sich gegenseitig und selber zuteil werden lassen. Dabei beschwören wir Menschen gerne die Rationalität, aber im wesentlichen bleiben wir tief verankert in der realen Absurdität unseres Alltags. Die Rationalität dient uns wohl nur dazu, uns gegenüber unserer Hybris zu legitimieren.

Dabei hätten wir es doch so sehr verdient, ehrlicher zu uns selbst zu sein.

Der erbarmungslose Triggerfinger

Sie nippte an ihrem Strohhalm. Die Augen hatten sich zu engen Schlitzen verschmälert. Sie lies ihre langen glatten und dunkelblonden Haare mit einer routiniert rhythmischen Bewegung hin- und herwogen, sah ihn zuerst fragend an und zögerte. Dann blickte sie in ihren Drink. Sie sinnierte kurz, blickte auf, legte ihren Kopf schrög und stiess seufzend aus:

„Ich bin so etwas ähnliches wie eine Androidin. Meine Identität setzt sich aus erweiterbaren Modulen zusammen. Ich habe im Laufe meines Lebens gelernt, all meine Alltags- und Sozialisationserfahrungen wie Bausteine nach Gusto aneinanderzufügen und daraus eine mir eigene komplexe Identität zu schaffen. Das hilft mir, den Ansprüchen zu genügen, die ein Leben zwischen den Kulturlandschaften mit sich bringt. Hätte ich mich für nur eine Identität entschieden, würde ich mit Sicherheit der einen oder der anderen Forderung nicht genügen. Ich würde als Defizitär eingestuft werden und dies würde dazu führen, dass ich in keinem gesellschaftlichen Kontext wirklich ankommen könnte.
Ich beherrsche nicht nur mehrere Sprachen, sondern lebe diese Sprachen auch in ihren jeweiligen Aktualitäten und unterschiedlichen Ausprägungen. Ich kenne die Lebensrealitäten mit welchen sie konnotiert und verbunden sind. Das rührt daher, dass ich mich Zeit meines Lebens einer Außenseiterinnenrolle, oder einer Position als Gast verweigert habe. Damit verweigerte ich mich natürlich auch gleichzeitig einer mir aufobtruhierten Passivität. Ich will in allen Wahrnehmungswelten, in denen ich mich befinde am Leben teil nehmen. Das kann anstrengend sein, aber das ist nunmal ‚mein‘ Anspruch, ‚meine‘ Forderung.
Dies führt soweit, dass man – egal, wo man sich in der Welt befindet – selten eine passive Position als Gast, oder gar als Touristin einnehmen möchte. Wenn ich auf Reisen bin, bin ich ungerne Touristin. Nicht selten reise ich reise ich deswegen mit einem Auftrag. Tourismus ist – meiner Meinung nach – in seiner herkömmlichen Form als Dienstleistungsware nicht mehr Legitim“.

Er hatte Schwierigkeiten, etwas dazu zu erwidern. Er stammelte stattdessen so etwas wie: „Aber deine Heimat ist schon Syrien, oder?“. Zumindest stammt dein Name aus dem arabischen?

Sie nippte wieder an ihrem Drink und antwortete: „Ist egal, wo der Name herkommt. Glaub’s mir. Aber es ist ein schöner Name“.

Er meinte daraufhin: „Ich weiss, das darf man ja nicht mehr fragen, aber ich meine das nicht rassistisch, wirklich. Wo kommt dein Name her“.

Fatima hatte sich währenddessen schon lächelnd abgewandt und meinte: „Ich weiss es nicht“. Daraufhin nahm sie ihren Drink und wandte sich wieder ihren Freund*innen zu, mit denen sie gekommen war.

Er lächelte verunsichert zurück und blickte ihr noch einige Sekunden hinterher.