Liebe FreundInnen, die meinen Blog und meine Emails schätzen. Liebe interessierte LeserInnen, die nicht wissen, was sie davon halten sollen, aber auch nicht mutig genug sind, ihn abzubestellen. Liebe stummen Zaungäste.
Ich wende mich an euch alle, denn so allmählich geht es mir ordentlich auf den Keks, dass….
…der deutsche Kulturbetrieb (und damit meine ich auch den, der sich gerne mal auf der Gegenseite des Establishments sieht, wie zum Beispiel die Münchner Kammerspiele), immer noch nicht in der Lage ist, von seiner dämlichen Überheblichkeit herunterzukommen.
Wie ich darauf komme? Weil ich gerade eine Rundmail erhalten habe von meinem Freund Philip Decker, der gerade als Produktionsleiter ein Theaterprojekt des niederländischen Regisseurs Dries Verhoeven namens „Niemandsland“ betreut, wofür migrantische Mitspieler gesucht werden. Alles schön und gut, nur wird der/die MigrantIn wieder einmal dazu aufgefordert, einigen „bio-europäischen“ Gästen sein migrantisches Leben in seinem „migrantisch geprägten“ Viertel zu erklären.
Ich bin mir sicher, das ist ein toll durchdachtes Konzept von dem Dries Verhoeven, aber dieserlei Projekte gab es doch schon zu Hauf. Hört doch auf damit, verdammt! Der Stoff ist durch Leute! Ausserdem finde ich es so dermassen peinlich, immer nur aus der bequemen Rolle des neugierigen Voyeurs auf das vermeintlich „Fremdartige“ zu blicken. Begreift es endlich Schnuckis: „IHR SEID DIE MIGRANTEN, IHR SEID DIE ALIENS“ und nicht umgekehrt. Ihr begreift nicht, dass ihr schon längst eingetürkt seid, genauso sehr wie ich eingedeutscht bin!
Ihr wollt es nicht wahrhaben, aber bin ich derjenige, der lecker Döner frisst bei jeder Gelegenheit und der Branche zu reissendem Umsatz verhilft? Nein! ICH MAG NÄMLICH KEINEN DÖNER.
GUTEN APPETIT – ICH HABE DAMIT NIX ZU TUN UND ICH WERDE EINEN TEUFEL TUN UND EUCH ZUM DREITAUSENFÜNFHUNDERTSTEN MAL „MEIN MIGRANTISCHES BAHNHOFSVIERTEL“ ERKLÄREN! BIN ICH KASPERLE ODER WAS? DAS IST AUCH EUER VIERTEL VERDAMMT. GUCKT ES EUCH HALT AN. IST DOCH AUCH EUER LAND, EURE STADT, EURE GESCHICHTE, ODER NICHT?
Lasst uns doch lieber mal den Spiess umdrehen und einen neureichen Versicherungsmakler, Banker, oder Immobilienhai eine Stadtführung durch das Bogenhausener Villenviertel durchführen, der bulgarischen Schwarzarbeitern sein Leben und sein Viertel zeigt.
Das macht in der jetzigen Situation, in der wir uns alle befinden, wesentlich mehr Sinn!
Ich fordere von den Kammerspielen München eine Aussprache, über dieses Thema und zwar öffentlich!
Daran können sich dann Vertreter des Volkstheaters und des Residenztheaters auch beteiligen!
Und da können wir uns gerne auch mal über das Thema unterhalten, warum sich fast 99,9 Prozent der migrantisch-stämmigen Kulturschaffenden, KulturarbeiterInnen, Regisseure, Intendanten, SchauspielerInnen einen wohlklingenden „weissen“ nachnamen aneignen müssen, wenn sie in diesem Land Karriere machen wollen?
wie z.B.
Shermin Langhoff
Tim Seyfi
Ersan Mondtag
und und und…
Glaubt es mir, mir hängts zum Halse raus.
Bitte liebe Freunde und Freundinnen von der deutschen „Leidkultur“. Versteht mich nicht falsch. Ich habe euch echt gerne und ich weiss, ihr meint es nur gut mit uns. Aber ihr müsst eines endlich begreifen:
WIR MEINEN ES AUCH GUT MIT EUCH!
Unten die besagte Email. Ich fordere alle migrantischstämmigen Menschen auf, dieses Projekt zu boykottieren!
Gruss
Tuncay
Anhang:
Aquisitionsmail der Kammerspiele auf der Suche nach Mitspielern bei dem Stadtprojekt Niemandsland von Dries Verhoeven:
Sehr geehrte Damen und Herren, mein Name ist Philip Decker, ich bin seit der Spielzeit 13/14 künstlerischer Produktionsleiter der Münchner Kammerspiele, einem der renommiertesten deutschen Stadttheater und Gewinner der Auszeichnung „Theater des Jahres 2013“. Ich wende mich mit folgendem Anliegen an Sie: Im Sommer 2014 werden wir die Theaterproduktion „Niemandsland“ des niederländischen Regisseurs Dries Verhoeven zu Gast in München haben. Es handelt sich hierbei um einen Stadtspaziergang, bei dem jeweils ein Mensch mit Migrationshintergrund einen Theaterzuschauer durch ein migrantisch geprägtes Viertel (in München das südliche Bahnhofsviertel) führt, wobei dieser per Kopfhörer viele mögliche Geschichten der „Migration“ hört. Ziel ist es die Perspektive des Zuschauers auf ihren Wegweiser und das Thema Migration insgesamt zu thematisieren. Hierfür sind wir auf der Suche nach insgesamt 12 Spielern, die Lust haben Ihre Perspektive auf das Thema Migration in München mitzuteilen und darzustellen. Anbei schicke ich Ihnen unsere Suchanzeige, es wäre sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie diese an Interessierte weiterleiten und vielleicht sogar aushängen könnten. Ich danke Ihnen für die Mithilfe und stehe Ihnen bei Fragen selbstverständlich zur Verfügung,
Mit freundlichen Grüßen, Philip Decker