Yeah – Bericht aus der Türkischen Republik – Anfang 2013

So richtig Rock’n Roll sind se immer noch nicht die Türken. Irgendwie lustig, aber irgendwie auch gut angespannt. Allenthalben wird viel und laut geredet und auf den Tisch geklopft. Man sieht viel Waffen und Geballer – im Fernsehen, aber leider nicht nur inszeniert in Fernsehfilmen, sondern live in den Nachrichten (was nicht heissen muss, dass das nicht inszeniert ist, aber anders halt..ihr wisst, was ich mein). Politik wird auf der Straße gemacht. Und im Parlament hört es sich auch an, wie auf der Straße. Es gibt viele ungeklärte politische Morde und Vergewaltigungen an 13-jährigen Mädchen durch Männer im Alter ihrer Opas, die wiederum wegen guter Führung oder durch das strafmindernde Argument, es wäre „mit der Einwilligung des Mädchens passiert“ (!!!!!!!) früher aus dem Knast kommen. Verhaftungen am laufenden Band: Journalisten, Generäle, Anwälte, oder einfach nur Bürger, die sich getraut haben auf offener Straße dem Herrn Erdogan mal die Meinung zu sagen. Der widerum regiert hier nach Gutsherren Art und wird von den konservativ-islamistischen Massen (über 50 Prozent bei den letzten Wahlen) gefeiert. Also richtig spassig isses nicht.
Die wirtschafltiche Lage ist hingegen enorm spassig. Wenn ich hier Bauunternehmer wäre, dann hätte ich wohl auch mal richtig gute Laune. Die aberwitzigsten Luxusbauprojekte spriessen nur so aus dem Boden. Hier wird der Bosporus, dort Venedig im Kleinmaßstab nachgebaut. Ellenlange Werbespots im Fernsehen, in denen Päärchen glückselig über Monopolyfelder hüpfen zeugen von der Potenz der Bauherren (und das sind mit Sicherheit alles Herren – da ist keine Frau dabei, würd ich meinen).
Erfreulich ist, dass die Minderheiten immer ungenierter ihre Stimmen erheben und auch in den Medien zu Worte kommen. Kurden, Aleviten, Armenier. Letztlich wurde eine „Geschiche der kurdischen Kultur“ im Fernsehen beworben. So etwas kam früher kaum vor. Die konservativen Kemalisten meinen, dass das eine Strategie der neoliberalen konservativen Islamisten wäre, um die republikanischen Wurzeln des Staates und somit ihre eigene Machtbasis zu zersetzen. Womit sie auch sicher recht haben, aber sie hätten ja mal selber auf die Idee kommen können über die letzten Jahrzehnte, anstatt das halbe Volk zu martern und zu quälen, ganze Siedlungsgebiete im Osten zu zerstören und die Menschen ihrem Schicksal zu überlassen, oder Kinder in Gefängnissen zu foltern.
Die Antwort beider Fraktionen auf jegliche Kritik, wie ich sie gerade bringe, ist immer dieselbe: „Der türkische Staat macht so etwas nicht. Das sind alles Provokationen der feindlichen ausländischen Mächte“. Welche genau, das wird nie benannt, denn im Grunde steht man ja im freundschaftlichen Verhältnis zu allen. Aber der gesellschaftliche Konsens in diesem Punkt wird auf eine erschreckende Form in den Medien festgelegt. Es fällt besonders auf, wie sich das politisch korrekte Vokabular von Tag zu Tag ändert. Werden soeben noch korrupte jüdische Geschäftsleute von rechtschaffenen nationalistischen jungen Männern per selbstjustiz in Kriminalserien im öffentlichen und privaten Fernsehen gelyncht und die Täter von bedauernden Polizeibeamten abgeführt, kann das im nächsten Jahr schon ein Ding der Unmöglichkeit sein. Das massive Kundtun von abstrusen Gerichtsurteilen in den monopolisierten Medien, wie zum Beispiel die Inhaftierung einer 21-jährigen Türkin aus Frankreich, weil sie das Konzert einer linksoppositionellen Musikgruppe besuchte und ihre Verurteilung zu fast 20 Jahren, gibt auch genaue Auskunft über die generelle Stimmung im Lande und dient als Drohung: „Mach kein Scheiss, sonst bist auch du dran und du weisst, dass die Justiz uns gehört! Also nimm dich in acht, wenn du einer Minderheit, der Opposition, oder einfach nur dem ’schwachen‘ Geschlecht angehörst!“
Um solche Normen durchsetzen zu können, sind gesellschaftliche Codes enorm wichtig, geschickt implementierte Codes und Vorgaben, nach denen sich die Mehrheit im Lande willfährig richtet – das fängt bei der Frisur an, setzt sich fort in Klamotten, korrekten Redewendungen, Humor, Formulierung der eigenen Historie etc. und setzt sich bis ins unendliche Fort – eine streng genormte Kommunikation, gut getarnt hinter einer angestrengten Gute-Laune-Präsentation, im Alltag, sowie in den Medien. Wer aus dem Rahmen fällt braucht ein dickes Fell, viel Vitamin B., oder hat irgend ein besonderes Talent. Am besten ist er oder sie Musiker, Sänger. Dann kann er sich alles erlauben. Darf aber nicht oppositionell politisch werden und somit seine Publikumswirksamkeit missbrauchen. Sonst landet er schnell im Off und wird gesellschaftlich isoliert. Und das ist in einem solchen Land das allerschlimmste.
Also im Grunde ist es fast so, wie in der DDR, bloß mit schickeren Autos und mehr scharfe Sosse! Deswegen würde dem Land eine gute Portion amtlicher Punk Rock mal richtig gut tun. So à la Toy Dolls oder Sex Pistols – vielleicht sogar mit Takva Bärten und auftätowierten Koransuren, oder im Stile der transsexuellen Diva Bülent Ersoy, nur mit etwas krasserem Sound: https://www.youtube.com/watch?v=HvaF4LVa4Os
Aber lasst euch nicht von mir zuschwallen, überzeugt euch selbst. Es gibt natürlich auch positive Aspekte: Sonne, Mond und Sterne… (wie Claudia Roth das vor ein paar Jahren so schön formuliert hat). Alles in allem trotzdem ein sehr schönes Land. A bissi fehlt halt der Punk Rock!

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