Schmachtfetzen #12: Tanju Okan – Öyle sarhoş olsam ki

Jetzt mal ganz sachlich betrachtet: „Dieses Lied animiert zum Trinken“. Dafür wurde es auch geschrieben, und zwar von einem Komponisten namens Bülent Şençalar. Der Text stammt aus der Feder von Güzin Gürman.

Das Bezeichnende an diesem Lied ist, dass es vom Wunsch erzählt, so betrunken zu sein, dass man allen Liebesschmerz vergisst, was sich natürlich im Endeffekt immer als Trugschluss herausstellt. Denn der Suff verstärkt – wie allseits bekannt – lediglich den Schmerz umso mehr. Das Resultat: ein wunderschönes Lied, dass auf seinen Interpreten Tanju Okan wie massgeschneidert wirkt.

Auch er gehört zu den grossen Chansonstimmen, deren Lieder auch immer ein Stückweit die Realität ihres eigenes Lebens widerspiegeln. Er war ein grosser Interpret nostalgischer, herzzereissender Lieder, die die Musik der 60er  und 70er Jahre in er Türkei massgeblich prägten. In diesen beiden Jahrzehnten spielte sich auch im weitesten Sinne die Karriere Okan’s ab. In den 80ern brach jedoch mit dem aufkommenden Arabeskstil, der den tragischen Herzschmerz in eine neue Dimension trieb und den Mainstream Pop den Hörgewohnheiten der landflüchtenden neuen urbanen Bevölkerung aus dem Osten Anatoliens anpasste eine neue Ära an. Es war die Zeit der Depression und Umstrukturierung nach dem Militärputsch im September 1980.

Die Musik Tanju Okans verblich in der Nostalgie der guten alten Zeit, in der sich noch die Strandcafés entlang der Küstenstriche Istanbuls wie Perlen an einer Kette entlangzogen und in sternenklaren Sommernächten des Marmarameeres die Karrieren von grossen Stars wie Cem Karaca, Baris Manco, Kamuran Akkor, Nese Karaböcek und all den anderen beflügelten.

Die gute alte Zeit, in der auch dieses Lied entstand, war nun unwiederbringlich abgelaufen. Wahrscheinlich verfiel Tanju Okan auch deswegen mehr und mehr der Depression und das Schicksal erfüllte auf unheilvolle Weise die Prophezeihung seines 1975 entstandenen Hits: er starb an einer Leberzyrose.

Er gehört jedoch immer noch zu den meistgeliebten Stimmen des Landes und jedesmal, wenn die ersten Takte von „Öyle Sarhos olsam ki“ ansetzt, geht ein Raunen und Seufzen durch jede Meyhane und alle Stimmen an: „Ach wäre ich doch nur sooo betrunken…“

Öyle sarhoş olsam ki
Bir an seni unutsam
Unutsam bugünleri
Yarınları unutsam


Öyle sarhoş olsam ki
Bir daha ayılmasam
Herşey bir rüya olsa
Unutarak uyansam



Seni gördüğüm günü
Sevdiğimi unutsam
Bir başka dünya bulsam
İçinde sen olmasan

Wär ich doch nur so betrunken,
so dass ich dich plötzlich vergässe,
diese Tage einfach vergässe
und auch die zukünftigen.


Wär ich doch nur so betrunken
und würde nicht mehr zu mir kommen.
Wär doch alles nur ein Traum,
aus dem ich vergessend erwachte.


Ach würde ich nur den Tag vergessen,
an dem ich dich sah.
Würde ich nur eine andere Welt finden,
in der du nicht existierst.

Bill Gates hat’s schon lange gewusst!

Ich kenne keinen Markt, der sich jemals selbst reguliert hätte. Das neoliberale Kapital investiert in Forschung und die Ausbldung von qualifiziertem Fachpersonal auf allen systemrelevanten Ebenen. Deren Job ist es unter anderem, alle Risiken durchzuspielen, die dem global dominierenden Wirtschaftssystem zwischen die Beine geraten könnten. Deswegen wundere ich mich über all diejenigen, die sich darüber wundern, dass Bill Gates bereits vor 5 Jahren die Gefahr der Pandemie angesprochen hatte. Die Gefahr der Pandemie ist im Bereich der Katastrophenszenarien gängiger Standard. Alleine in den großen Rückversicherungsgesellschaften sitzen Armadas von Wahrscheinlichkeitsspezialisten, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als solche Szenarien durchzurechnen.

Das weiss ich, weil ich als Student mal einen Job in der Postabteilung einer solchen Firma hatte. Somit kam ich beim täglichen Rundlauf durch alle Abteilungen und tatsächlich auch in alle Arbeitszimmer und ich hörte mir jeden Tag an, worüber sich diese Menschen unterhielten.

Da diese Firmen einen Haufen Geld umsetzen, können sie sich einiges leisten. Ich bin jeden Tag an original Andy Wahrhol Siebdruckserien vorbeigelaufen – in jedem Stockwerk eine andere. Mal Marilyn, mal Neuschwanstein und so. Das Mittagessen ging auf’s Haus und es wurde im „Casino“ gespeist. Das hiess: eine vegetarische und eine fleischhaltige Variante (vegan gab’s damals noch nicht) eines 3-Gänge-Menüs standen zur Auswahl. Der Koch hatte Sterne – wieviele weiss ich nicht.

Die Chefetage lebte eine grossherzig-offene Firmenpolitik vor, was mit sich brachte, dass man sich mit jedem und jeder MitarbeiterIn unterhalten konnte, egal, welchen Rang und Status man selber besass. Somit hatte ich Gelegenheit, mich in jungen Jahren als Zaungast der neoliberalen Gedankenwelt des Rückversicherungs-Establishments zuzuwenden. Risikoberechnung war das täglich Brot dieser Menschen und sie berechneten tagein-tagaus alles, was man sich nur vorstellen kann: Vulkanausbrüche, Erdbeben, Konzern- und Staatsbankrotte, Angriffe aus dem All, Meteoren, whatever…

Dass das aktuelle Pandemie-Szenario schon lange existierte, ist ja durch einschlägige Hollywoodklassiker belegt. Als Mensch neigt man dazu, sie trotzdem zu relativieren. Als Risikomanager einer Rückversicherung hat man diesen Luxus nicht.

Insofern kann ich natürlich all diejenigen gut verstehen, die hinter der ganzen Coronasache nun abertausend Verschwörungen wittern. Ich selber trau den Geheimdiensten und der Pharmaindustrie auch alles zu. Nur eines nicht: das sich alle jetzt zusammengetan haben, um uns einfachen BürgerInnen eine Pandemie vorzugaukeln. Die Arschlöcher dieser Welt mögen gewieft sein, aber sie sind immer noch Arschlöcher und verhalten sich nicht solidarisch, auch (oder erst recht) anderen Arschlöchern gegenüber nicht. Ja, manchmal schon, aber das kann sich dann sehr schnell wieder ändern. Deswegen glaube ich nicht daran, dass die globale Macht- und Wirtschaftselite bei der letzten Bilderberg-Konferenz ein globales Pandemie-Schauspiel einstudiert hat. Wobei ich nicht bezweifeln will, dass einige unter denen das nicht mal albern finden würden.

Ich will jetzt auch gar nicht über die Hintergründe der Covid-19 Pandemie spekulieren und schon gar keine Plattform für eine solche Diskussion öffnen. Was ich jedoch nur allzu gerne kundtun will, ist eine heimliche Schadenfreude, die mich überkommt, wenn ich daran denke, wie es für mich wäre, wenn ich ein Wildtier in einem Urwald, oder ein Baum, oder ein Tiefseebewohner etc. wäre. Natürlich hinkt der Vergleich, weil ich als typischer Vertreter der Spezies Mensch davon ausgehe, dass Tiere und andere Lebewesen so denken und agieren könnten, wie Menschen – und das in dem tiefsten Bewusstsein, dass dem natürlich nicht so ist.

Wir Menschen haben erstaunliche Fähigkeiten: wir können denken, eine Meinung generieren, diese von uns selbst abstrahieren, sie hinterfragen und auch relativieren, oder sogar revidieren, aber trotzdem sehen wir alles ausschliesslich aus unserer „aktuellen“ Perspektive. Das heisst, wir beziehen uns nicht nur extrem auf uns selbst, sondern sind auch noch zeitlich ziemlich eingeschränkt: wir haben meist eine „aktuelle“ Meinung. Morgen kann alles vergessen sein. Kurzum: wir machen uns gerne wichtig.

Dabei sind wir eigentlich überhaupt nicht „so“ wichtig. Ok, wir haben viel vollbracht und erstaunliches geleistet, aber das alles auch nur auf unserer eigenen Werteskala. Also sind wir faktisch gesehen aus Sicht des Universums nicht unbedingt wichtiger und nützlicher, als alles andere was dieses in seinen unendlichen Weiten beinhaltet. Für das Universum sind also unsere Werte in keinster Weise „Systemrelevant“.

Nur für uns Menschen ist das natürlich anders. Wir denken, wir sind mordswichtig für das Universum, weil wir so einzigartig sind. Ja sind wir ja auch, aber ein Baum, oder ein Haifisch ist auch einzigartig und die führen sich nicht so krass auf, wie wir. Ok ein Haifisch kann auch schon mal übertreiben, aber nach einem blutigen Biss ist die Sache im wahrsten Sinne gegessen. Da wird nicht mehr lange rumtheoretisiert und schultergeklopft. Für einen Haifisch ist das, was er da macht keine besondere Leistung. Das ist halt sein Leben. Aus basta!

Das heisst: wir haben eigentlich niemanden, der uns mindestens auf gleicher Ebene Kontra bieten könnte. Deswegen wünschen wir uns ja nichts sehnlicher, als anderen Lebensformen zu begegnen, Orks, E.T., Aliens, Marsianer, Chew Baka, Vulkanier, etc. Denn ohne universelle Herausforderung wird uns schnell langweilig. Eigentlich tritt das, was wir uns herbeisehnen auch oft ein. Aber der Wunsch nach Aliens hat sich noch nicht – zumindest nicht eindeutig genug – erfüllt. Einer anderen Phantasie, die wir ebenfalls seit Urzeiten hegen, sind wir hingegen schon dicht auf den Spuren: der ultimativen Katastrophe. Und warum das ganze? Weil uns einfach langweilig ist! Ja, is so! Wir sind die geilsten Gestalten, die uns bekannt sind, sitzen auf dem geilsten Planeten des Universums und wir sind so sehr mit uns selber beschäftigt, dass uns langweilig ist. Deswegen sind wir ständig motzig drauf und würden am liebsten einen Laserkrieg gegen Feinde aus dem All führen.

Das ist wohl auch der Grund, warum wir so unzufrieden mit der aktuellen Pandemie sind: wir Menschen brauchen es hart! So eine schleichende Pandemie, deren Auswirkungen nur durch Zahlenspekulationen zu erahnen ist, ist wie inexistent für uns. Sie ist weder Fleisch, noch Fisch. Eine Pandemie muss uns sofort ordentlich den Arsch aufreissen, damit wir sie als solche auch akzeptieren.

Und das, was in Italien, Spanien passiert? Reicht das nicht?

Nein! Wir wollen unbedingt, dass im speziellen „uns“ selber der Arsch aufgerissen wird. Wir müssen das spüren, damit wir danach bestürzt sagen können: „Das hätte sich doch nun wirklich niemand denken können“. Natürlich wollen wir das nicht vordergründig und bewusst! Aber wenn wir nicht überrollt werden, nehmen wir den ganzen Mist nicht wirklich ernst. Jetzt mal ehrlich! Also natürlich halten wir uns an die Ausgangsbeschränkungen, aber keiner weiss wirklich was Konkretes. Es herrscht eine grosse Unsicherheit vor und das führt zu Skepsis, Gemaule und Gemotze.

Unsere freiheitlichen Rechte! Unsere zivilen Errungenschaften! Unsere Meinungsfreiheit! Unsere individuellen Bedürfnisse! Das alles ist nun bedroht. Das waren wir bisher gewohnt. Dafür haben wir hart gearbeitet. Natürlich werden wir jetzt ungehalten und machen uns Sorgen!

Und tatsächlich wird die Angst und die Gefahr gerade von diversen Despoten genutzt, um Notstandserlasse durchzusetzen (da ich nicht auf Promodiss stehe, nenne ich deren Namen hier nicht – weiss eh jeder, wer gemeint ist). Klar stellt das auch eine Gefahr dar! Wie gesagt: ich traue dem System Mensch alles zu – also nicht dem Menschen an sich, sondern dem „System Mensch“ – auch, dass es künstlich Notstände schafft, um damit Notregelungen zu legitimieren, in Kauf nehmend, dass es seine eigene „menschliche“ Existenz damit aufs Spiel setzt. Mitleweile liegt der britische Premier selber auf der Intensivstation, als Opfer seiner eigenen Ignoranz. Wir wünschen ihm trotzdem gute Besserung. Er ist schliesslich auch ein Mensch. Aber ihr versteht, worauf ich hinaus will.

Aus gewisser Sicht, finde ich die Pandemie und den Einbruch der Wirtschaft deswegen gut. Jetzt ist mal Schicht im Schacht! Ja wir leiden, wir erkranken tödlich und wir sterben, wir sind hilflos…aber das ist tagtägliche Realität für mehr als die Hälfte der Menschheit. Und das  schon seit Ewigkeiten. Das sind doch auch alles Menschen, also VertreterInnen unserer Spezies? Jetzt kann es alle treffen. Auch die Queen, oder Bill Gates!

Die Massen an Hungertoten jedes Jahr. Tausende Geflüchtete, die im Mittelmeer ersaufen, oder von korrupten Schleusern, Mafiosis, Grenzposten etc. bedroht, genötigt, erpresst und wenn es sein muss abgeschlachtet werden. Es waren doch Menschen, die zu 70igst in einem Kühlwagen an der deutsch-österreichischen Grenze jämmerlich erstickten? Es sind doch auch Menschen, die in einem für 3000 Menschen zugelassenen Flüchtlingscamp auf Lesbos zu 20.000’st voller Entsetzen den unvermeidlichen Corona-Einfall erwarten, ohne ausreichende medizinische, hygienische, nahrungstechnische und sanitäre Versorgung.

Das sind doch auch Menschen? Oder etwa nicht? Also dann müssten wir ja seit Ewigkeiten ständig empört sein? Nein! Wir sind erst dann empört und entsetzt, wenn das Dach von Notredame brennt, um innerhalb von Tagen Spenden in dreistelliger Millionenhöhe zu sammeln und die Sache nach 2 Wochen wieder komplett zu vergessen. Deswegen haben wir es anscheinend auch nicht anders verdient. Vielleicht müssen wir jetzt mal unfrei werden, damit wir endlich begreifen, dass alle Freiheit nichts nützt, wenn sie nur ein Privileg ist. Privilegien sind nicht nur auf besondere Menschengruppen begrenzt, sondern auch zeitlich – wie uns jetzt wieder schmerzhaft klar wird.

Wer das nicht kapiert, der muss halt in Karantäne. So schaut’s aus! Für diejenigen, die in der freien Marktwirtschaft ihre steuerfreien Kapitalgewinne erzielen: Ihr seid Loser! Ihr könnt jetzt, wo ihr die Zeit dazu hättet nicht mal wie Onkel Dagobert in Scheinen und Münzen schwimmen, weil Bargeld auch Viren übertragen kann und deswegen auch bald abgeschafft wird. So existiert euer Vermögen im digitalen Raum. Ihr könnt euch zwar vieles kaufen, aber momentan auch nicht viel damit anfangen. Nix könnt ihr machen, genauso wie wir. Das ist Gerechtigkeit!

Deswegen wünsche ich euch allen aber trotzdem Gesundheit, Durchhaltevermögen, wirtschaftliche Beruhigung, und den Übergang in die nächste humane Bewusstseinsebene. Heult nicht um euer Vermögen. Seid froh, dass es weg ist. Es bringt eh nix. Unterschreibt stattdessen lieber folgende Petition für Grundeinkommen. Die liegt gerade auf dem Tisch des Bundestags:

https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2020/_03/_14/Petition_108191.nc.html