Die Menschheit besteht aus Opportunisten und Punks

Man redet über Opportunisten, als ob sie die Symptome einer Krankheit wären, die ab und an als notwendiges Übel die Menschheit belasten würden. Dabei muß man sich immer wieder vergewissern, dass es eigentlich umgekehrt ist. Die Anpassungsfähigkeit ist das, was eine erfolgreiche Spezies im Verlauf der Evolution auszeichnet. Der Mensch ist definitiv die erfolgreichste Spezies auf diesem Planeten, also kann man davon ausgehen, dass verdammt viele Mitglieder der menschlichen Population auf der Erde äußerst anpassungsfähig sind.

Die erfolgreichsten unter ihnen werden vom Rest mit großem Neid bedacht. Das gehört zur Evolution dazu. Deswegen werden sie von der Masse als „Opportunisten“ negativ gebrandet. Aber im Grunde sind sie selber auch nicht viel anders, sie sind nur nicht so geschickt, ihre Anpassungsfähigkeit (die wichtigste Tugend, die man im Überlebenskampf besitzen muss) nicht so weit entwickelt.

Und dann gibt es noch diejenigen Sturköpfe, die mit enormem Energieaufwand, auf fast selbstzerstörerische Weise und mit makaberem Witz sich einen Spass daraus machen, dieses Naturgesetz ständig ad absurdum zu führen. Das sind diejenigen, die auf die Grundregeln der Evolution, von denen sie so abhängig zu sein scheinen, einfach mal scheissen. Diejenigen, die ihre Existenz der sinnlichen Lust und der Freiheit des Geistes opfern. Das sind die Punks.

Also haben wir eine breite Masse, die einem allgemeingültigen Standardtraum hinterherlaufen,
eine Minderheit, die ihn leben
und eine weitere Minderheit, die den Standardidealen ihren Rücken zuwenden und an ihrem ganz besonderen eigenen Traum bauen.

Man darf in diesem Zusammenhang natürlich nicht vergessen, dass die Träume der Aussenseiter, besonders in der Gegenwart, nicht mehr allzulange im Abseits geträumt werden. Der Mainstream braucht in immer kürzeren Abständen immer wieder frische Träume. Dann ist die Idee des Punk gefragt. Sie wird aufgegriffen, zurechtgestylt und vergoldet, wird sozusagen selber zum Allgemeinen und plötzlich rennen alle dem neuen Standard hinterher.

Und so dreht sich das Rad ständig weiter. Also ist man im Grunde nur ein guter Punk (und damit ist nicht unbedingt nur der Klassiker mit dem gefärbten Iro gemeint – Punk kann jeder sein), wenn man sich der Veredelung seiner Idee erfolgreich widersetzt. Die Utopie zu leben – darum geht es wohl beim Punk. Aber die schnelle Abfolge innerhalb des genannten Turnus, lässt die Grenzen zwischen Punk und Grossopportunisten immer mehr verschwimmen.

Diese Grenze muß eigentlich klar gezogen sein! Ansonsten wird man doch nur billig verscherbelt?

Was geht in Istanbul ?

Ist die Gezi Park Bewegung eingeschlafen? Hat sie sich nur verlagert? Wenn, ja wohin?
Das sind tatsächlich Fragen, die viele Menschen in Deutschland und im Rest Eruopas gerade zu bewegen scheinen. Ich höre diese Fragen sehr oft in letzter Zeit. Man wundert sich ob der eingekehrten Ruhe und wartet auf Neuigkeiten.

Ich befinde mich oft genug in der Polis und kann nur sagen: der Kampf geht in zugespitzter Form weiter. Recep Tayyip Erdogan fährt in gewohnter Form fort mit seinen Pöbeleien gegen junge Frauen, Schwule, Lesben, kritische JournalistInnen, Oppositionelle etc.. Ich denke von diesem Typen und seinem Umfeld ist kein diplomatisches einlenken zu erwarten. Er hat sich ja schon vom radikalen, religiösen Eiferer und Hisbollah-Unterstützer zu einem rechts-konservativen „formell verfassungstreuen“ Politiker gewandelt. Mehr geht nicht mehr. Momentan ist er eher schon wieder auf dem Rückweg zu seinen politischen Wurzeln.

Er wird weiter auf der harten Linie seine Gräben ziehen, bis ihn die Geschichte bestraft. Innenpolitisch bleibt er im selben Format. Inwieweit sich die Gezi-Proteste auf seinen politischen Erfolg auswirken, das werden die nächsten Kommunalwahlen zeigen, die Ende März 2014 anstehen.

Bis dahin wird es wohl weiterhin still bleiben, denn die Staatsmacht hat gerade die Opposition fest im Griff. Durch willkürliche Zugriffe und unzählige Klageschriften, Diffamierungen, intrigante Entlassungsmaßnahmen von Mitarbeitern aus den staatstreuen Medien, Fernsehsendern, Zeitungen und Verlagshäusern, erhält sie den Druck auf die Bevölkerung aufrecht. Auch bestimmt die Regierung mit sehr zwiespältigen Äußerungen ihres Premiers die Tagespolitik und schürt damit aber auch die Unsicherheit und die Polarisierung in der Bevölkerung.

Neulich konnte ich meinen Ohren nicht trauen, als er eine schon früher von ihm geäusserte Meinung wiederholte, wonach es moralisch untragbar sei, dass junge Menschen – vor allem StudentInnen – in gemischten WG’s unverheiratererweise zusammen wohnten. Was in Europa schon seit der 68’er Bewegung schon nicht mehr der Rede Wert ist, ist in diesem Land anscheinend noch ein großes Thema, denn der Premier droht mit juristischen Massnahmen, die diese Art des Zusammenlebens sogar unter Verbot stellen könnten.

Die Regierung verfolgt nun dieselbe perfide Strategie, derer sie bei solch streitbaren Themen immer zu bedienen beliebt: Der Premier macht krasse Aussagen, die dann aus seinem Umfeld abgeschwächt und erstaunt kommentiert werden. Geschickt werden diese Kommentare dazu genutzt in Detailfragen noch weitere Ängste zu schüren. Ein Beispiel: Eine Politikerin aus dem Kreis der Regierungspartei, die sich im Fernsehen zu dieser Thematik äusserte, meinte, dass sie die Aussage des Premiers nicht verstehe, dass so etwas undenkbar sei, dass sie sich aber vorstellen könne, dass der Premier damit die von Terrororganisationen angemieteten Wohnungen meine, die immer wieder mal von den Sicherheitskräften ausgehoben würden.

Klar übersetzt würde das heissen: „gemischte WG’s mit jungen Männern und Frauen könnten die Terrorismusgefahr im Lande steigern“.

Interessante Argumentation!

Dies ist nur eine von vielen abstrusen Diskussionen, die in der Türkei gerade Tag für Tag geführt werden. Die politische Auseinandersetzung fokussiert sich gerade auf Nebenschauplätze und ignoriert die essentiellen Fragen in der Gesellschaft weiterhin rigouros.

Im Grunde ist diese Methodik die letzten Jahrzehnte schon exzessiv durchgezogen worden. Ich denke, diese Art der politischen Diskussion hat erst dazu führen können, dass eine so grosse Masse an jungen Menschen in die ausser-institutionelle Protestsphäre gedrängt wurde. Diese Entwicklung wird sich wohl immer mehr verstärken und auch bald wieder zu neuen Protestwellen führen.

Ich glaube ausserdem, dass Tayyip Erdogan bald von Realos in seinem eigenen Umfeld zu Fall gebracht werden wird. Denn im jetzigen Stadium ist er auch für seine politischen Verbündeten im Ausland untragbar. Grosse Veränderungen stehen kurz bevor. Ich hoffe, sie bringen gutes für die junge hoffnungsvolle Population dieses Landes.