Pro Akif Pirincci – eine Fürsprache vor der deutschen Nation!

Pegida-Anänger verhöhnen Akif Pirincci (Photo: Flavio Lucchini, Burqua, 2011)

Pegida-Anhänger verhöhnen Akif Pirincci in Dresden! (Photo: Flavio Lucchini)

Akif Pirincci. Was ’ne Nummer! Wahnsinn oder? Bringt er’s tatsächlich eisenhart und sagt auf ’ner Pegidademo in Dresden im Oktober 2015 das, was sich kein biodeutscher Pegidist so leicht trauen würde. Was sich keiner von diesen Luschen traut, das traut sich der Akif. Hut ab!
Jetzt frägt man sich natürlich: Was hat den geritten? Überall diese Frage: Warum? Warum Pirincci? Warum jetzt? Warum Pegida? Er hat doch nur Ärger damit? Der Bertelsmannverlag hat seinen Vertrag schon aufgelöst, gleich ein Paar Tage nach dem besagten Vorfall.
Was ist passiert? Akif Pirincci stand am 19.10.15 in Dresden am Rednerpult und tat das, was er schon im Vorfeld in diversen (national)sozialen Netzwerken angekündigt hatte: er hielt eine hammerharte Rede, mit der er neue Maßstäbe setzen wollte, nur auf welchem Feld? Er selber nannte es Wutrede, aber die Rede klang gar nicht so wütend. Sie klang eher einfach nur vorgelesen. Auf welchem Feld hat er die Maßstäbe nun aber gesetzt? Dummheit? Vermessenheit? Oder ist er eigentlich immer noch der geniale Schriftsteller, für welchen er im allgemeinen noch vor knapp ein zwei Jahren galt? Ich meine der Mann war einer der beliebtesten zeitgenössischen Autoren Deutschlands. Warum plötzlich diese Faxen?
Hat er Drogen-, Existenzprobleme? hat er sein Geld versoffen, oder verkokst und braucht jetzt einfach mal frisches Publikum, bessere Verkaufszahlen? Bereitet er sich auf einen Genrewechsel vor und will jetzt einfach mal seine Gehirnzellen durchpusten? Ein kleiner Adrinalinschub? Inspiration? Ja, das ist doch legitim? Er brachte es zumindest origineller, als die übrigen B-Promi-Tröten, die von einer Realitysoap ins Dschungelcamp und dann wieder in die nächste bescheuerte Boulevard-Talkshow hopsen, von Kanal zu Kanal.
Er hätte es ja auch so machen können!
Aber nein! Akif ist authentisch. Er geht neue Wege! Wie gesagt: Akif setzt Maßstäbe. Und zwar macht er das äußerst raffiniert: er begibt sich zunächst vermeintlich auf den Standard-Islamkritikerfilm und reiht sich da schön hinter Sarrazin, Broder und Matussek ein (genau in der Reihenfolge). Jedoch fällt er natürlich viel stärker auf, als die übrigen, denn er ist ja selber Schwarzkopf (also Kanacke). Er hat ja Wurzeln in der Türkei – seine Familie kommt ja aus einem zum Großteil von Moslems bevölkerten Land. Er muss es ja wissen, wie die so sind?
Solche Art von Selbst-Bashing kommt nun wirklich nicht oft vor und erzeugt natürlich erst einmal ein Raunen in der Leitkulturlandschaft. Dieses ominöse Raunen hat aber für gewöhnlich nur eine kurze Halbwertzeit. Somit drohte der Gute relativ bald wieder in der Spinnerecke zu verfaulen. Aber wir kennen ja unseren Akif! Er war schon immer bekannt dafür, sich auch in den aussichtslosesten Situationen neu erfinden zu können. Er gibt nicht klein bei. Er lässt sich nicht einfach Mundtot machen. Das ist er all den Menschen schuldig, die seit Jahren zu ihm halten. Die ihn auf seinem Weg in den Autorassismus schon immer bestärkt haben. Auch im Bertelsmann Verlag sitzen diese Leute. Klar hat die Geschäftsführung ihm jetzt gekündigt. Er hat es ja auch bewusst darauf angelegt, aber er hätte das nie getan, wenn er nicht immer schon gewußt hätte: da sitzen etliche drinnen, die ihm noch gerne die Stange gehalten hätten, aber mit Tränen in den Augen jetzt zusehen mussten, wie die Gutmenschen der Marketingetage die Augen verdrehten und die Quadratschädel von der Geschäftsführung ihm nun den Gnadenschuss gaben.
Mit Sicherheit war das für ihn ein kurzer Aufreger, aber im Grunde kein so großes Problem. Souverän kann er meiner Meinung nach darüber stehen, denn er ist nicht so einfach zu beeindrucken. Der Mann hat nämlich Zivilcourage!
Und noch dazu ist er nicht blöd. Hordenweise haben die Menschen diese billigen LKW-Fahrer-Lektüren von Sarrazin gekauft. Warum sollten sie seine neuen polarisierenden Hetzschriften nicht kaufen? Was für die einen geschäftsschädigend ist, ist für die anderen die „perfekte“ Promo, massgeschneidert auf das neue sorgenvolle Publikum. Er weiss, dass es genug Verlage gibt, die den neuen Trend erkennen und ihn zu nutzen wissen. Deutschland ist endlich erwacht und es gibt nun eine neue wachsende Leserschaft: die besorgten Bürger.
Überdies beobachtet man nämlich eine brandneue Entwicklung in der zentraleuropäischen Kulturlandschaft. Es handelt sich dabei um eine Art zunehmende Arabeskisierung des Abendlandes (Achtung: nicht zu verwechseln mit Islamisierung!! Haha – das wäre ja jetzt wirklich Kontraproduktiv…).
Arabesk: das ist die Kultivierung des Leidens, des sinnlichen Schmerzes, der diesem innewohnt, sich insbesondere äussernd in Lyrik, Prosa und Liedtexten. Arabesk ist im Grunde die „Philosophie des Leidens“, bisher nur bekannt durch die kulturellen Produktionen der „nahöstlichen“, „nordafrikanischen“, „osteuropäischen“ und der „kleinasiatischen“ Moderne. Ja diese Form des sinnlichen Leidens hielt seit spätestens dem späten 19. und frühen 20. Jhd. eben auch Einzug im Balkan, in Mazedonien, Bosnien, Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Ungarn. Nur Zentraleuropa war noch nicht bereit dafür. Bis jetzt! Bis Akif Pirincci die Rednerbühne in Dresden betreten hat. Das Leiden kennt der Deutsche an sich schon lange. Nun geht es darum, den nächsten Schritt zu tun: nun geht es darum, die hohen Sphären des tiefen emotionalen Genußes zu erfahren, den das Leid erzeugen kann!
Aber wie kam es dazu? Was hat der gute Akif denn schon grossartiges getan? Exakt: er hat den nächsten Gang eingelegt und zwar ohne zu zweifeln und ohne lange zu fackeln, in einem Moment, in dem alle schon von ihm erste beschämte Rechtfertigungen oder gar Entschuldigungen für seine bisherigen vermeintlichen Ausfälle erwartet hatten. Er hat das getan, was sich verkappte feige biodeutsche Undercovernationalisten im Etablissement nie trauen würden – all diese tollen Mainstreamautoren, die um ihr Image und ihre Abnehmerzahlen fürchten: Akif Pirincci ist ( und das als deutscher Autor mit „muslimischem“ Migrationshintergund!) zur Pegida gegangen, stellvertretend für alle, die sich das jetzt auch so sehr wünschen würden, aber es sich nicht leisten können –  wegen der Karriere, der Familie, der Kinder, des Rufs, des Ansehens, whatever….
All diese Bedenken hat Akif über Bord geworfen! Er hat drauf geschissen! Er hat es für euch getan. Er hat es für Deutschland getan.
Und ihr? Wie dankt ihr es ihm? Das sieht man oben auf dem Foto. Das ist eines dieser Bilder, die uns die Lügen-Presse vorenthält! Das ist Dresden: Pegida-Anhänger verhöhnen Akif Pirincci während seiner legendären KZ-Rede, indem sie einen Ganzkörperkostüm-Flashmob verüben und sich Burkas überziehen. Das ist diskriminierend! So ein undankbares elendes Volk seid ihr! Ihr lasst ihn nicht mal ausreden. Lutz Bachmann hat höchstpersönlich seine Rede unterbrochen und ihn von der Bühne hinunterkomplimentiert, nach schon ca., 20 Minuten! Da war der gerade erst warmgelaufen!…..hinunterkomplimentiert!
Ich hab’s schon immer gesagt: Pegida hat kein Rückgrat. Nur Weicheier. Da muß erstmal ein Türke kommen, um euch „das“ lauthals öffentlich vorzulesen, was so viele von euch denken und nicht trauen auszusprechen: nämlich, dass ihr gerne bald wieder die KZ’s in Betrieb nehmen würdet, um euch von dieser Flüchtlingspest zu befreien. Er sagt es. Er spricht es aus und was kommt von euch als Dank?
Ein müder Lacher und gleich darauf Buhrufe und Protestlaute. „Keine Hetze, keine Hetze“, habt ihr gerufen. Ich habs genau gehört! Weicheier seid ihr! Miese kleinkarierte Weicheier! Ihr seid so kleinkariert und dumm, ich würde euch zutrauen, dass ihr solch mutige und couragierte Leute wie Akif Pirincci sogar inhaftieren würdet, wenn besagte KZ’s wieder in Betrieb genommen  würden. Ihr würdet diese Leute eigenhändig vergasen. Ich weiss es doch.
Warum? Nur weil sie nicht die richtige Abstammung haben, die richtige Hautfarbe oder den richtigen Stallgeruch. Dabei sind es diese Leute, die euch immer schon die Aufmerksamkeit und die nötigen Referenzen erwiesen haben. Es sind solche Leute wie Matthias Matussek, Henryk M. Broder, Heinz Buschkowsky, Akif Pirincci, die euch selbstlos unterstützt haben. Sie haben euch die mediale Aufmerksamkeit gebracht, die ihr brauchtet. Sie haben euch Mut zugesprochen, wenn es mal nicht so gut stand um die Bewegung. Sie haben Hohn und Spott über sich ergehen lassen, immer tapfer den Kopf hingestreckt, ihrer Ideale willen. Sie haben euch den Weg in die bürgerliche Mitte immer Sperrangelweit aufgehalten. Merkt euch diese meine Worte!

Oh deutsches Volk! Sei nicht undankbar! Verrate deine treuesten Weggefährten diesmal nicht. Lerne aus deiner Geschichte!

Triptonious Coltrane, 2015
Bildinfo: Flavio Lucchini, Burqua (2011)

Chill Out!

chill_out

Das waren Zeiten! Gut, dass sie vorbei sind: Chill Out. Denn sie waren eine zuckersüße Lüge. Wir sind alle drauf reingefallen. Es gibt immer noch Leute, die von der Buddha-Lounge-Reihe schwärmen. Aber nicht umsonst stellen sich jetzt bei Kruder und Dorfmeister die Nackenhaare auf: sie waren nie zeitlos. Sie sind verfallen. Denn sie waren gelogen.

Was Chill Out? Während im übersättigten Teil der Welt hart gechillt wurde und man vor sich hin illusionierte, radikalisierte sich Sachsen und Thüringen, der NSU tobte, die Bullen suchten nach der Dönermafia, die Twintowers stürzten ein, Osama Bin Laden und Michael Jackson rockten die Popcharts. Wir waren immer noch hartnäckig am chillen! Irak, Afghanistan, Ghaddafi, Tunesien, Ägypten, Erdogan, Syrien, der böse Islam, Salafisten, die bösen Islamgegner, Pegida und wir glaubten immer noch insgeheim an das Ideal der stromlinienförmigen Karriere. Jetzt Tote in Kurdistan, Syrien dem Erdboden gleich, Putins Kampfjets tun das, was alle immer zu tun vorgegeben haben: die ISIS bombardieren. Flüchtlinge flüchten nicht nur, sie sind auch gleichzeitig AktivistInnen. Sie überleben, oder sterben heldenhaft auf der Reise in den Westen. Sie suchen nicht mehr nach dem Glück. Sie fordern ihr Recht!

Irgendwann werden auch sie merken, dass sie auf sehr unangenehme Weise mehrere Lücken füllen. Unangenehm, weil man das eben erst spät erkennt, wie sehr man als Aufhänger missbraucht wird, von Kultur, Medien und Politik. Harte Scheisse!

Und da gibt es nun einige, die sauer sind, weil die Chill Out-Phase der 90’er und der 2000’er an ihnen vorbei gegangen ist. Immer nur Maloche Maloche, immer in der Hoffnung, dass man dann irgendwan alles hat: Eigenheim, alles abgesichert, genug Knete auf der Seite. „So jetzte kömmwa ooch ma chillen“. Hingegen merken genau die jetzt allmählich: „Scheiße! Das Konzept mit dem Chillen wird in diesem Leben nix mehr. Es war nie für uns gedacht!“.

Und jetzt kommen junge, dynamische Menschen übers Mittelmeer mit Augen voller Hoffung, Hunger nach Erfolg. Die KanakInnen, die bisher hier abgehangen sind, waren leicht zu handeln. Diese Typen jetzt, denen ist alles zuzutrauen. Wenn wir nicht aufpassen, nehmen die uns nicht nur die Frauen, den Fussball und die Jobs, sondern auch noch unsere Bildung, die Medien und die Kultur weg.
Und was bleibt uns dann? Nur noch Wurst, Bier und Roberto Blanco!

Also viel Spass: https://www.youtube.com/watch?v=7I0JsaAtM5E

In München gibt’s ein Kaffeehaus: Sirtakiflashmob powered by Triptown

Nihan und Ceren – zwei türkischstämmige Künstlerinnen dachten sich nichts dabei, als sie am 14. Juli am Odeonsplatz in München sich in eine Filiale der San Francisco Coffee Odeonsplatz setzten, um sich bei gutem Wetter zu unterhalten. Sie wurden jedoch sogleich Opfer eines äusserst hässlichen rassistischen Übergriffes seitens eines Mannes, der sie im besagten Café aufgrund ihrer Sprache anschrie und beschimpfte. Er hielt beide Frauen zunächst für Griechinnen und wetterte los. Als er erfuhr, dass es sich bei der Sprache um türkisch handelte, kannte er dann kein halten mehr.

Minutenlang wurden die beiden Frauen bedroht, beschimpft und angeschrien. Das Personal liess das nicht nur zu, sondern motzte die beiden Frauen an, sie würden stören. Von den Gästen erwiderte niemand etwas.

Dies ist erschütternd und zeigt, wie sehr Anfeindungen und Diskriminierungen in dieser Gesellschaft schon von den Medien,  von der Politik betrieben und bagatellisiert werden und von der breiten Masse geduldet und schweigsam ertragen, ja oft sogar teilweise still und heimlich, mancherorts aber auch schon unverhohlen und laut mitgetragen werden.

Die Künstlerinnen aktivierten ihr ganzes Netzwerk, denn sie fanden, dass man ein Zeichen setzen muß! Deswegen planten sie zusammen mit ihrem Freund Tuncay Acar nun einen Flashmob, an dem türkisch und griechisch gesungen und vor allem SIRTAKI GETANZT wurde.

Es kamen so um die 200 Menschen, von denen sich ca. 80 aktiv an Gesang und Tanz beteiligten. Die anderen unterstützten die Kampagne.

Hier nun das traurige Ereignis, das Ceren und Nihan inmitten unserer schönen Stadt über sich ergehen lassen mussten:

Es handelt sich um diese Location: San Francisco Coffee Company am Odeonsplatz.
Facebook: https://www.facebook.com/pages/San-Fransisco-Coffee-Company-Odeonsplatz/161949670498177
Website: http://www.sfcc.de/muenchen/odeonsplatz

Folgendes ist passiert (laut Bericht beider Frauen):

Nihan  und Ceren (beides Künstlerinnen, die seit über 12 Jahren in München und Salzburg leben) haben sich heute Nachmittag in die Filiale der San Francisco Caffe Company in der Theatinerstrasse am Odeonsplatz gesetzt. Kurz darauf wurden sie von einem wohlsituiert scheinenden, gut angezogenen Herrn mittleren Alters in einem lauten Ton äusserst aggressiv angegangen mit den Worten: „Ihr sollt hier nicht so laut griechisch sprechen“.

Woraufhin Nihan erwiderte, dass das kein griechisch wäre, was sie sprachen, sondern türkisch. Daraufhin der Mann: „Das ist doch aus so eine Scheißsprache. Scheißvolk!“.

In dem Moment hat Nihan gemerkt, dass die Situation am eskalieren ist und fühlte sich bedroht und angegriffen. Sie ging in den Laden und sagte dem Personal bescheid. Daraufhin kam ein Kellner und wollte den Herrn höflich hinauskomplimentieren. Dagegen agierte dann aber eine weitere Mitarbeiterin, die in der internen Hierarchie jedoch wohl höher stand, als er. Sie konterte mit dem Argument, dass der Herr ja genauso gezahlt hätte für sein Getränk und deswegen genauso Recht darauf hätte zu bleiben.

Ermutigt durch diesen Zuspruch fielen nun bei dem Mann sämtliche Hemmungen und er fuhr fort, in seinen Hasstiraden. Nihan, die nun merkte, dass sie keinen Schutz vom Personal zu erwarten hatte verteidigte sich verbal, jedoch ohne abfällig zu werden.

Beide Frauen beobachteten, wie sich Gäste von den Nachbartischen schweigend umsetzten, oder gar davongingen, weil ihnen die Situation unangehem wurde. Keiner der Gäste sagte ein Wort.

Der Mann jedoch schrie nun und beleidigte Nihan mit den Worten: „Du frustrierte Bosporuspussy“.

Das war der Punkt, an dem Nihan nun ebenfalls lauter wurde, aber ohne zu beleidigen! Sie wandte sich hilfesuchend an die restlichen Gäste und fragte sie, was sie von der Situation hielten und ob sie denn nichts zu sagen hätten?

VON DENEN KAM JEDOCH KEINE REAKTION !!

Die einzige Reaktion kam nun von derselben Mitarbeiterin, die ihr sagte, sie solle nicht so laut sein. Sie würde die übrigen Gäste belästigen.

Nihan knickte aber nicht ein und verteidigte sich verbal, bis der Mann ihr drohte die Polizei zu holen. Dies widerum kam Nihan sehr recht und sie forderte ihn auf, dies zu tun. Daraufhin packte der Mann seine Sachen und ging. Während dem Gehen drohte er ihr noch einmal: „Ihr werdet hier rausgeschmissen werden! Nicht nur aus diesem Café, sondern aus dem gesamten Land!“

Vom Personal und von den Gästen kam immer noch keine angemessene Reaktion.

!!!!!!!!!!!!!

Aber sie liessen sich dadurch nicht beirren und auch blieben auch demonstrativ sitzen. In den folgenden 2 Tagen organisierten sie zusammen mit Freunden einen Flashmob und kamen mit einer Menge solidarischer Menschen wieder zurück und taten das, was sie am besten können: Singen und Tanzen, um zu zeigen, was man damit alles bewirken kann, statt mit blindem Hass!

Man wird das doch wohl noch sagen dürfen? – ein Résumée

Ja ich habe euch gesehen, wie ihr euch die Freiheit genommen habt, jeden Montag. Ihr habt euch die Freiheit genommen, eure Mäuler aufzureißen, soweit es nur ging. Ihr wart die wöchentlich regelmäßig zelebrierte kollektive deutsche Massenunzufriedenheit. Ihr wart die verkörperte Angst vor dem Krieg, vor Monsanto, vor den Politikern, vor Europa, vor dem Geld, und diese hat euch auf die Straße getrieben. Und ihr habt euch eure Läuse von den Lebern geredet. Einige von euch haben eine grundlegende Erfahrung gemacht: sie haben sich selbst erkundet, sie haben sich selbst sprechen hören und festgestellt, dass sie ja tatsächlich in der Lage sind, eine Meinung zu äußern, einen Gedanken zu formulieren! Sie haben gemerkt, dass sie ja gar nicht so klein und nichtssagend sind, wie sie sich immer empfunden haben.

 

Stinknormale Bürger

Stinknormale Bürger


Da war sie wieder: die Volksseele, die den dunklen Löchern des kleinbürgerlichen Daseins für einen Tag in der Woche entfloh. Jedes mal etwas lauter, etwas mutiger, etwas kraftvoller, so schien es. Es war gelebte Demokratie, nicht wahr? Ein Volk von bürgerlichen Angestellten, mittelständischen Unternehnmern, Arbeitern, Kommunisten, Sozialdemokraten, konservativen Eigenhaushälftenbesitzern, Kleinmechanikern, Studenten, Alternativen, Punks, Aktivisten, aber auch selbsternannten Leitkulturvertretern und Faschos, Neonazis therapierten sich selbst, redeten sich in Ekstase. Ein Volk von kleinen Seelen wurde endlich ein einziges großes Ding und alle waren dabei. Der ganze Querschnitt. Plöttzlich wart ihr wieder wer, ihr wart frei, nicht wahr? Verschwörungstheorien, Kriegsängste, Unzufriedenheit. Alles kulminierte feierlich am Montag und jeder durfte reden. Das war gelebte Freiheit! Das war doch so toll!

Aber soll ich euch was verraten, ihr naiven Montagstrottel? Einige wenige Bauernschlaue unter euch haben brav mitprotokolliert. Ja, Woche für Woche, all den Müll, der geredet wurde, all die guten Argumente, all die populären Worthülsen und Forderungen all eure so spontan und emotional geäußerten Ängste. All dies haben sie archiviert und festgehalten und fanden es sehr inspirierend und äußerst aufschlussreich, was das Volk so von sich gab. Wir leben im Informationszeitalter. Wer was erreichen will, muss Infos sammeln, wo es nur geht. Was sie protokollierten, gab ihnen einen Querschnitt eurer Gemütslage, eurer Befürchtungen, eurer Sorgen, eurer Hoffnungen. Ja das war ein realpolitischer Goldschatz, den im Prinzip nun derjenige heben konnte, der genau zugehört hatte.

Und nur nebenbei: ich verzichte völlig ungeniert auf das gendern meines Textes. Was kann ich dafür, wenn die deutsche Sprache so bescheuert aufgebaut ist, dass jedes verfickte Substantiv weiblich, männlich und sogar sachlich gekennzeichnet sein kann? Ausserdem: im Endeffekt sind es doch wieder nur zu 90 Prozent die Männer, die all die Scheiße anstellen. Also kann man sich in diesem Falle die weibliche Endung erst recht sparen.


Wie dem auch sei: Diese Protokoll-Listen mussten jetzt nur noch ausgewertet und geordnet werden und man hatte pures politisches Kapital in den Händen, das im Grunde jeder für sich werten könnte, der es nur darauf anlegte. Man musste nur schnell genug handeln. Und so geschah es, dass ein Dresdener kleinkrimineller Rechtspopulist einer von denen war, die diese Montagsslogans wohl als erster effektiv einsetzte. Ich kann es mir bildhaft vorstellen, wie er und seine Kumpels sich jeden Montag schön eifrig trafen und die Massentauglichkeit einzelner Argumente testeten, die seit Jahren schon auf besagten Veranstaltungen geäußert wurden – von Linken, von Rechten, von Konservativen, Liberalen, Alten, Jungen, Männern, Frauen, etc.. Denn das war ja das Gute an den Montagsdemos. Sie waren offen für  alle Ideologien, alle Überzeugungen, alle konnten kommen und ihr Maul aufreißen. Somit konnte man sich aus den Beiträgen eine schöne Schnittmenge von Positionen und Forderungen zusammenschustern, die einer breiten Masse der Bevölkerung aus dem Munde sprachen.

So – jetzt musste nur noch ein Titel her. In diesem zeigte sich nun glasklar, wer sich die Deutungshoheit über diese unsäglichen Montagsversammlungen gesichert hatte: „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Kurz: „PEGIDA“. Das hatte sich Ken Jebsen wohl anders vorgestellt! Hollaaaaaaaaaa! Jetzt mal ganz ehrlich: nach was klingt denn das? Nach Rassismus, Faschismus, ja sogar Nationalsozialismus? Nach allem zusammen? Alleine das Wort „Patrioten“ klingt in diesem Sinne so absurd militaristisch! Vor allem in Kombination mit dem Wort „Europäer“. So als ob Europa (schon) eine militärische Großstreitmacht wäre mit einer einheitlichen großeuropäischen Armee und wir alle wären treu dienende patriotische Soldaten.

Wenn einem nun dieser Titel sauer aufstieß, und man dies auch noch kund tat, dann wurde man auf ein „Positionspapier“ verwiesen – so nennt man die zusammengeschusterte Liste, die so wirkt als wäre sie eine Synthese von den Argumenten und Forderungen, von denen ich weiter oben sprach: „gegen TTIP“, gegen „Überwachung“, „gegen den Euro“, „gegen den Bankenwahnsinn“, „Für den Frieden“ etc. etc. etc. Diese im ersten Moment sehr legitim klingenden Forderungen wurden nun gemischt mit einigen diffus rassistischen, faschistoiden Argumenten und fertig war sie: die perfekte bürgerliche Tarnkappe für Faschodemos Landesweit. Das war dann auch offen zu sehen, an den Leuten, die an ihnen teilnahmen: Vertreter von gestandenen Naziorganisationen, gerissene Rechtspopulisten und dumpfbackige, gewaltbereite Hooligans. Neben ihnen natürlich auch jede Menge Menschen, die sich als „stinknormale Bürger“ bezeichneten. Letztere Bevölkerungsgruppe ist ja die gefährlichste, weil sie je nach Situation alles sein kann. Sie ist leicht zu manipulieren und auch populistisch sehr schnell umzudeuten. Ein leerer gesellschaftlicher Behälter, der auf Definition und Sinn wartet: „Schauen sie mich doch an, ich bin doch kein Nazi, ich bin ein stinknormaler Bürger und ich habe eigentlich nichts gegen Moslems, aber…“. Noch während er dies von sich gibt, gerät der Skinhead neben ihm ins Bild der Fernsehkamera und fertig ist der Deutungsmix: „Das sind keine Nazis. Das sind stinknormale Bürger. Der Glatzkopf mit der Reichsfahne ist auch stinknormal. Das konnte man sich lange Zeit in der Öffentlichkeit nicht erlauben, aber spätestens seitdem wir Weltmeister sind, darf man das jetzt wieder. Das ist stinknormal“. Dabei ist es meist irrelevant, was gesetzlich erlaubt ist. Eher von belang ist, was gesellschaftlich tragbar ist. Deswegen immer die Bekräftigung: „Das werde ich jetzt doch wohl mal sagen dürfen“.

Die fast schon anschuldigend geäußerte Verteidigungsformel hieß nun: „Bevor du voreilig urteilst, lies doch bitte unser POSITIONSPAPIER“. Das wundert im allgemeinen weniger, als die Tatsache, dass es relativ wenige Menschen gab, die sagten: „Nein, ich lese kein Positionspapier von Menschen, die sich als ‚Patriotische Europäer‘ bezeichnen“. Die meisten „gewissenhaften“ Demokraten lasen sich stattdessen tatsächlich brav die besagten Positionen durch und diskutierten ernsthaft mit psychopathischen Demagogen ganze Tage und Wochen lang in der virtuellen und realen Welt.

Genau diese Hornochsen waren dann so bemüht um die gleichberechtigte Gesprächsplattform, dass sie sich auf absurde Wortspiele einließen: So bekam man zu hören, dass man in der heutigen Zeit nicht mehr „Nazi“ sagen darf, sondern, wenn, dann nur von „Neonazis“ sprechen kann. Als ob Nazis eine ausgestorbene Spezies der Evolution wären, so wie die Dinosaurier. Einige waren felsenfest davon überzeugt, dass es in Deutschland keine genealogische Abfolge von Nazis bis in die heutige Zeit gibt. Er meinte also, dass Neonazis eine vollkommen neue Entwicklung der Jetztzeit seien und nichts mit den Nazis von damals zu tun hätten. So nach dem Motto: „Wir haben die Verbrechen von damals erfolgreich überwunden und verarbeitet. Jetzt sind wir freie Bürger der Bundesrepublik Deutschland und in der BRD gibt es keine Nazis mehr“. Eine Meinung, die man übrigens auch besonders gerne und oft von gestandenen Sozialdemokraten zu hören bekommt. Ein sehr beunruhigender Schritt im Sinne der Wahrung des eigenen kulturellen Selbstverständnisses!

Liebes Volk! Wir reden hier von Freiheit. Also nehmt euch die Freiheit, zu akzeptieren, dass Deutschland den Faschismus nicht mit Löffeln gefressen hat. Seid beruhigt! Faschos gibt es überall. Die Mehrzahl der Weltbevölkerung lebt in strukturell faschistischen und rassistischen Gesellschaften. Keine Angst, Deutschland ist nicht besonders schlimm, nur weil es den Krieg verloren hat. Aber akzeptiert eines: es gibt nach wie vor Nazis, gewaltbereite, straff organisierte Nazis und Nazis sind einfach Nazis. Und es gibt auch nach wie vor Nazipapas und -mammas und -omas und -opas in diesem Lande. Es gilt, das zu tun, was die Staatsmacht aus Befangenheitsgründen nicht in der Lage ist zu tun: den strategischen Druck aufrecht zu erhalten und ihre Handlungsspielräume zu reduzieren.

Leider habe ich nicht die Freiheit, zu sagen: „Lieber Staat, wenn deine Institutionen nicht in der Lage und auch offensichtlich nicht Willens sind, unsere Freiheit, unsere Leben, unsere Gesellschaft vor gefährlichen Faschisten zu schützen, dann kriegst du meinen Steueranteil nicht“. Nein, die Freiheit habe ich nicht. Aber ich habe die Freiheit (oder die Pflicht?) das Positionspapier der PEGIDA zu lesen und zu akzeptieren, dass das alles stinknormale Bürger sind, die nix gegen syrische Flüchtlinge haben, solange sie sich bald wieder verziehen, aber gegen Langzeitmigranten, wie Zigeuner und Afrikaner schon, bla bla bla bla.

Das ist schon so ne Sache mit der Freiheit!

Ahoi.

Veröffentlícht im Juni 2015 im Gaudiblatt Nr. 21
http://issuu.com/84ghz/docs/gaudiblatt-21/1?e=1387353/12808314

Gehört der Islamismus zu Deutschland?

Ganz trocken und nüchtern zum aktuellen Thema:

Islamisches Zentrum Freimann/München

Islamisches Zentrum Freimann/München

Ein gewisser Stefan Meining hat in seinem Buch „Eine Moschee in Deutschland“ sehr schön beschrieben, wie die Moschee in München Freimann von den Nazis in Kooperation mit den Muslimbrüdern damals gegründet wurde, um den Panislamismus, der in der Zeit Kaiser Wilhelm II. als imperial-strategisches Werkzeug von den Deutschen mitentwickelt wurde, im dritten Reich weiter nutzen zu können. Diese Einrichtung wurde besonders in den Jahren des kalten Krieges zum Dreh- und Angelpunkt für die internationale Spionageszene und für die großen Vorreiter des Panislamismus in Europa!

Die berüchtigten Fremden Legionen Ost (ihrer Anzahl waren zum Ende des 2. Weltkrieges 6) wurden in wilhelminischer Zeit als militärischer Informationsbeschaffungsdienst gegründet und existierten bis zum Ende des 3. Reiches. Ihre Kader wurden zuletzt von einem gewissen Reinhard Gehlen geleitet, der nach Kriegsende – zusammen mit seiner ganzen GESTAPO-Personalstruktur – von den Amerikanern warmgehalten wurde. Gehlen war dann auch der erste BND-Präsident in der frisch gegründeten BRD.

Jetzt zum Knackpunkt: Der radikale Islamismus ist eine Bewegung, die ohne die Imperialmächte – allen voran das Deutsche Reich und in der Folge auch die BRD – nie so stark expandiert wäre. Die ersten Islamisten wurden in wilhelminischer und in nationalsozialistischer Zeit nach Deutschland importiert und gefördert. In Bayern auch über die Ära Strauss hinweg. Sie gründeten schon Anfang des 20. Jhd’s Moscheebauvereine etc.. Angeblich gründet die Anwerbung vorwiegend muslimischer Gastarbeiter aus der Türkei in dem besonderen Vertrauensverhältnis zum ehemaligen Waffenbruder aus dem ersten Weltkrieg.

Literatur und Lesehinweise:

– Rezension zu Stefan Meinings Buch von Wolfgang G Schwanitz: http://www.sehepunkte.de/2011/06/19332.html
– Seiten 5 u. 6 in der folgenden interessanten Rezension – ebenfalls von Wolfgang G. Schwanitz – zu Sarrazins Machwerk sind der Entwicklung des frühen Islamismus gewidmet: http://www.trafoberlin.de/pdf-dateien/2010_12_15/Wolfgang%20G%20Schwanitz%20Sarrazin.pdf
– Hier spezifische Literatur von Schwanitz zur Zusammenarbeit zwischen den Nazis und Islamisten: http://yalebooks.com/book/9780300140903/nazis-islamists-and-making-modern-middle-east

Willst du Geld verdienen?

Klar “wollen” wir Geld verdienen. Obwohl: wir glauben doch gar nicht so richtig an das Geld? Ah: also “müssen” wir Geld verdienen, um zu existieren. “Ja von Irgendwas muss man ja leben”. Die aufrichtigere Aussage wäre jedoch: “Ja von irgendwas muss man ja in den Urlaub fahren”. Aber wer sagt sowas schon? Sonst würde man ja zugeben müssen, dass man die ganze Zeit über buckelt, ohne eigentlich Gelegenheit zu haben, das ganze hart verdiente irgendwann selbst zu nutzen – aus Zeitmangel. Also braucht man Leute, deren Job es ist, sich genau diese Zeit zu nehmen: Anlageberater, Schnorrerkumpels, etc…
…Außer im Urlaub. Da kann man sein Geld eigenhändig raus ballern. Das tut gut, das beruhigt und man kommt entspannt zurück, weil man endlich den Zaster verprasst hat. So als wolle man sich selbst beweisen, dass man noch Herr über seine materielle Existenz ist.
In kleineren Dosen geht das auch über die Feiertage. Da geht’s dann aber mehr um Hardware: Z.B. über Weihnachten im Baumarkt. Das ist dann wie Fuffis im Klub.
Ob Geheimdienstchefs und Verteidigungsministerinnen und -Minister auch in diesem Stile einkaufen gehen? Es geht das Gerücht um, dass die amerikanische Armee seit Beginn des Afghanistankrieges über 720 Milliarden Dollar allein dort für Kriegshandlungen ausgegeben hat. Hey Homeboys und Flygirls: Das’ mal’n Haufen Kohle! Mittlerweile fordert man das ja auch zunehmend hierzulande: Mehr Investition in den Krieg (oft auch “Verteidigung” genannt). Klar geht’s da um Geld. Afghanistan ist anscheinend ein guter Waffenanlagemarkt. Da kennen sich unsere Bundespräsidenten aus. Dass aber vor lauter Waffen und Krieg kein Platz mehr für die Leute da ist und sie dann fliehen müssen, leuchtet dann auch ein, ne? Blöd sind wir ja nicht. Aber das Problem ist: dann müssen wir uns ja auch darum kümmern, dass die ein Geld zum verprassen haben und ihnen beibringen, wie man das am anständigsten macht. Und das ist alles gar nicht so einfach!

Nachtrag zur Wiesn: „Der Big Boss, die Bitches und die Fleischpflanzerlsemmel“

„Yo Bitches! Ich habe euch alle gekauft ihr Schlampen. Wenn ich mit dem Finger schnippe, dann tanzt ihr alle auf den Tischen, vor Freude, mir dienen zu dürfen. Heute seid ihr noch hier und morgen? Morgen seid ihr futsch, wenn ihr nicht spurt und das wisst ihr ganz genau. Kommt, gebt es doch zu: das macht euch doch geil, oder? Wer nicht spurt, mit dem mach ich kurzen Prozess. Na, los, sagt mal: Wer ist euer Big Boss? Haha. Genau ich bin’s. Und wer bin ich? Ein Immobilienhai – frisch aufgestiegen, hunderte Renter übers Ohr gehauen und ein Vermögen gemacht. Und weils so gut läuft, mache ich seit neuestem in Versicherungen.
Ja, was willst du machen? Wenn die Leute mal Geld ausgeben wollen, dann sind sie kaum zu halten. Sie wabern durch die Straßen wie Fische im Meer. Man braucht nur im richtigen Moment sein Netz auszuwerfen. Den Schwarmfaktor muß man nutzen. Entweder du weißt, wo der Schwarm sich befindet und wo er hinfließt, oder du schaffst dir einen Schwarm, läßt ihn immer größer und größer werden, indem du ihm gezielt Futter in die Schwimmrichtung wirfst und ihn schön von den Seiten und von hinten zusammentreibst. Genauso wie es Killerwale mit Makrelenschwärmen machen. Und wenn du sie in Panik zusammengepfercht hast, dann öffnest du dein Riesenmaul und schnappst herzhaft zu. So läuft das! Schnippschnapp. Haha. So verdient man das Geld“.

Das ging ihm durch den Kopf, während er mit hochrotem Kopf im Getümmel saß – im Weinzelt mit all den Kimmenleckern und -leckerinnen um ihn herum. Er war der Big Boss und hatte eine Box reserviert in einem der teuersten Schankzelte der gottverfluchten Wiesn. Es war der letzte Wiesnsonntag und er hatte alles, was Rang und Namen um ihn herum hatte eingeladen. Er hatte hart gearbeitet dafür, diese Szenerie genießen zu dürfen. Vor zehn Jahren hatte er sein Business aufgebaut, nachdem er die Schnauze voll hatte, als Kleinvertreter von Tür zu Tür zu rennen und nur mickrige Prozente zu kriegen, die er am Wochenende eh versoff und verkokste. Er wollte nicht nur so tun, sondern endlich wirklich groß werden und er wußte, dass er es drauf hatte, zefix nochamal. Er ließ sich kurzerhand kündigen, holte sich ganz hinterfotzig den Kundenstamm seines Chefs ran und machte ihm Konkurrenz, denn er wußte, dass das legitim ist in diesem System. Sein Chef hatte es ihm damals doch vorgesungen: „Moral gibt es in dieser Gesellschaft schon, Grünschnabel, aber wenn’s ums Geschäft geht, dann regieren die Zahlen, kleiner, die Zaaaahlen!!“, hatte er immer gesagt.
Aber er war schon damals der Big Boss. Er war kein Grünschnabel, wie ihn sein Chef immer nannte. Er war schon immer im Vorteil gewesen: ihm war immer schon alles und jeder scheißegal gewesen. Er kannte keine Skrupel. Das wußte er und jeder, dem er einmal sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Er war schon als kleiner Scheisser der härteste auf dem Schulhof. Er hatte schon alles hinter sich. Die Zeiten mit den Jungs in Milbertshofen. Damals, als sie am Wochenede immer in die Stadt kamen, um in den Clubs abzuhängen. Er wollte immer schon unter den Coolsten sein und er wußte, wie er sich einschleimen mußte. Jede Posse machte er mit, nur um dazuzugehören.
Die Klamotten klauten sie sich in den Markenboutiquen, verkauften sie an die Zuhälter und Kleinganoven. Sie kauften sich in großem Stile Drogen und verkauften sie ganz ungeniert in der Wohnung eines Kumpels. Mit den Taschen voll Geld und vollgedröhnt mit Koks hatten sie auch genug Schneid, um mit den Edelnutten in den Hotellobbies anzubandeln. Immer war er der erste, der sich abseilte, wenn er merkte, es geht eine Stufe höher, oder es wird zu gefährlich. Viele seiner Freunde sind im Knast gelandet, konnten den Drogen nicht widerstehen und wurden selbst zu Süchtlingen – der größte Fehler, den ein Dealer machen kann!
Er fühlte sich damals schon, wie ein König, denn er hatte immer den richtigen Riecher, den richtigen Instinkt. Ein arrogantes Dreckschwein war er immer gewesen, ein arrogantes skrupelloses Arschloch und er fand sich richtig geil so, aber trotzdem hatte es dann doch ziemlich lange gedauert, bis es endlich mal richtig knallte. Im Endeffekt hatte er es immer verstanden, den mutigen Schritt genau zur richtigen Zeit zu tun. Er war die richtigen Allianzen einegangen, hatte mit den richtigen Leuten im Kommunalreferat Geschäfte gemacht. Und jetzt war es soweit: Er hatte es geschafft – ganz offensichtlich, sonst würde er nicht hier sitzen mit ner teuren Eskorte zur Seite – die es durchaus mit der Exbundespräsidentengattin aufnehmen konnte – und einem Haufen Schleimern um sich rum, die ihm die Arschritze sauberleckten.
Sein Blick schweifte nun schon geraume Zeit in die Ferne, so wie es immer passierte, wenn er sich an seine glorreiche Vergangenheit erinnerte. Nun aber landete sein Restbewusstsein wieder zurück in der unmittelbaren Surrealität am Tisch, oder das, was mal ein Tisch gewesen war. Das ganze Zelt brummte. Alle tanzten auf den Tischen und er war kurz mit dem Blick an den strammen Wadeln einer seiner weiblichen Tischgäste hängengeblieben, die beim Rumhampeln fast vom Tisch gefallen wäre. Er war richtig schön hacke und alle um ihn herum hingen an seinen Lippen. All die Geschäftspartner, die Prostituierten, die professionellen und die, die aus blankem Glauben an das Hurentum ihren Arsch verkauften, genauso, wie er es schon immer getan hatte. Deswegen hasste er diesen Typus Mensch und liebte ihn gleichzeitig so sehr. All diese verhurten Arschlöcher um ihn herum. Ja er verspürte eine komische Art von väterlicher Verantwortung für sie. Denn sie waren genauso, wie er. Sie waren aus dem selben Holz geschnitzt, oder besser: aus dem selben glibberigen Schlickerschlamm geformt. Sie waren alle skrupellose Dreckschweine und genau das mochte er an ihnen. Sie waren verlogen, versaut, hinterhältig und jeder grub dem anderen das Grab – und zwar ständig. Solange er die Macht und das Geld in den Händen hielt, konnte er sich jedoch auf Jeden und Jede zu hundert prozent verlassen. Sie waren alle verdammt gut in ihrem Job und gierig wie die Aasgeier.
„Hey du kleiner Schaftschlecker!“, brüllte er den Kellner an. Sie waren sich sofort näher gekommen und der Kellnerboy hatte sich schnell an seinen flachen Humor angepasst. Dafür erhielt er schließlich gutes Trinkgeld. Lachend kam er angesprungen, wie ein junges Kangoroo. Er war ein hübscher Knabe, gut gebaut, mit ’nem knackigen Arsch in der Lederhose und dunklen Falkohaaren, die ihm in fettigen Fransen über die Stirn fielen. Schon von weitem fiel er auf mit seinem charmanten, verschmitzten Grinsen, das eine gewisse schmierige Routine im Umgang mit den Gästen erahnen ließ. Aber auch die tage- und nächtelange Arbeit und die Drogenorgien nach den langen Schichten standen ihm ins fahle Gesicht und in die geröteten Augen geschrieben. Das Leben nahm er offensichtlich mit Humor und wusste, wie man sich seinen Gästen anpasste, um ihnen das Trinkgeld aus der Tasche zu leiern.
„Jahaaa, komm ja schooon“ flötete er in nachgeahmter Thekenschlampenmanier und verführte den ganzen Tisch damit zu einem kleinen Lacher. Big Boss freute sich schon auf die nächste Szene, wie ein Kleinkind auf seine erste Eisenbahn. Jetzt war wieder die Zeit zum Klotzen gekommen. Jetzt mußte er seinen Boss-Status hier in diesem Weinzelt wieder ein für alle mal zementieren. Der Zeitpunkt war gekommen – jetzt ging es um die Dominanz auf dem Platz. Er legte sein arrogantestes Geschau auf, packte den Kellnerboy paternalistisch am Kragen, zog ihn zu sich und spuckte ihm seine finale Bestellung in astreinem bayrisch ins Ohr: „Pass amoi auf du Zipfeklatscha: An Champagner kriang ma owa da muaßt scho schaun, das da Diisch ned zammakracht, ge?“. Damit hatte der Sonnenjunge in Lederhosen nicht gerechnet. Die ganze Box jauchzte und tobte. Sie waren alle schon übelst besoffen und gerieten in Extase, ob der dicken grandiosen Bestellung. Die Laune war am kochen. Was für ein krönender Abschluss!
Kellnerboy war nun schon leicht aus der Fassung gebracht. Big Boss hatte bei ihm sage und schreibe 10 Neun-Liter-Flaschen Schampus bestellt. Eine à 3500 Euro, bedeuteten nach Adam fucking Riese 35000 Euro. Bei 9 Prozent Umsatzanteil bedeutete das im Falle dieser Bestellung: 3888 Euro, die er bald tief in die Tasche schieben konnte. Er flog förmlich zur Schenke. Bisher – toi toi toi – hatte er schon richtig guten Umsatz gemacht, aber mit dieser Bestellung würde er heute die 80.000 Euro Marke sprengen. Alles dank diesem selbstsüchtigen Vollidioten, der schon den ganzen Tag seine dekadente Bagage vollfütterte und abfüllte. Die waren eh schon alle total durch. „Soviel Schampus kriegen die doch gar nicht runter!“, ging es ihm kurz durch den Kopf, aber im Grunde war es ihm mal so richtig scheißegal. Als er nun prustend mit dem Schampus zurückkam, lag die Hälfte des Tisches schon fast im Koma, aber sie hatten noch genug Restenergie, um sich den Champagner halb in den Rachen, halb daneben zu schütten und dabei die Augen zu verdrehen. Es war ein übler Anblick.
Big Boss war sehr zufrieden mit sich. Die Begleitdame neben ihm flötete ihm ununterbrochen belangloses Gesülze ins Ohr. Er drehte sich zu ihr hin und hatte sogleich ihren geschwungenen Silikonmund genau vor dem Gesicht. Ihre albernen blonden Pornozöpfe wackelten über dem prall gefüllten Decoltee, das von einem knallgelben Karnevalsdirndl umrahmt wurde – so eins, wie es sich meist die ahnungslosen Neuseeländerinnen für teures Geld am Hauptbahnhof andrehen lassen. „Aaaach ist das herrlich, dachte er sich“ und wollte sie nochmal darum bitten, auf dem kleinen Spiegelchen, das in ihrer Handtasche eingearbeitet war, flink und geschickt eine Line Koks zurechtzulegen. Das war ihre Spezialität und der eigentliche Grund, warum er sie immer buchte! Eine Koksline-legemaschine mit Pornozöpfen, Arsch, Titten und Silikonmund.
Als er sich zu ihr hinbeugte und den Mund aufmachte, wurde ihm aber plötzlich mordsschwindlig. Anscheinend hatte er doch zuviel des Guten erwischt. Dabei war er doch immer so Exzess-gehärtet! Er rutschte mit seinem Gesicht an ihrem geschwollenen Mund entlang, der zu einem Riesenballon mutierte. Parfum-, Schweiss-, Alkohol und Essensgeruch vermengten sich zu einem unerträglichen Gestank, der ihm übel in die Nase stieg und nun drückte auch noch seine Blase und er mußte unbedingt pinkeln.
Hartgesotten wie er nunmal war, stieß er sich mit einem Ruck aus dem Delirium in die Höhe. Mit müh und not fing er sein Geichgewicht und wankte stolpernd zum Ausgang der Box. Der Kellnerboy, seine Begleitdame und einige seiner Tischgäste wollten ihm helfen, aber er wies sie alle mit einer sehr bestimmten, fast schon aggressiven Geste ab. Auch in diesem Zustand verstand er es noch meisterhaft, die Arroganz und Verachtung zu zelebrieren, die ihn sein Leben lang schon begleitet hatte.
Er wollte jetzt alleine sein. Ganz alleine. So wie er es sein ganzes Leben schon immer gewesen war. Er hatte alles alleine gemacht, alles alleine geschafft und das Pinkeln würde ihm schon allemal gelingen. Noch hielt er sich wacker auf den Beinen, aber der Boden unter seinen Füßen fühlte sich an wie ein Wasserbett. All diese Fratzen, diese Gesichter, die sich ihm im Vorbeigehen offenbarten, wie offene Bücher. Unter ihnen auch einige, die er wohl schon einige male gesehen hatte. Wer sollte das schon wissen? Wieviele von ihnen hatte er schon ausgenommen und beschissen mit seinem Konzern? Sie waren wie Fische für ihn, potenzielle Opfer!
Es dröhnte in seinem Kopf. Er schloss kurz die Augen und die Gesichter, die sich soeben in sein Gedächtnis eingefressen hatten wiederholten sich vor seinem inneren Auge. Sie schienen sich in sein Bewusstsein zu bohren. Endlich lief er aus dem Zelt in die wohltuende Nacht und mitten in das Getümmel hinaus – Schreie, Gelächter, herumirrende Gestalten, die wie dunkle Schatten um ihn herumzuschleichen schienen. Er suchte nach einer Pissecke, genauso, wie es alle anderen taten, so wie sie es hier alle seit Jahrhunderten schon immer tun. Wie Tiere standen sie aneinandergereiht und pissten an die Drahtzäune. Und ganauso tat er es dann auch. Er pisste ewig lange, hörte dem plätschern auf dem kalten Asphalt zu und mußte plötzlich lauthals lachen, als er merkte, wie er sich aus versehen auf die Hand gepinkelt hatte. Nach verrichteter Dinge packte er seinen Schwanz ein, knöpfte seine Lederhose wieder zu, wischte sich seine Hand an der Hose ab und torkelte weiter in die Nacht.
Wie lange war er schon nicht mehr so alleine gewesen? Zeit seines Lebens hatte er sich vor der Einsamkeit geflüchtet, doch jetzt merkte er mit einem sonderbar wohltuenden Gefühl, dass sie seine wahre Heimat war. Er sah in den Himmel hinauf und merkte, wie sehr er sich allmählich vom hier und jetzt entfernte. Big Boss ging unter im größten Volksfest der Welt. Ein Essensstand am Wegrand fiel ihm auf und lockte ihn: Fleischpflanzerl mit gerösteten Zwiebeln in der Semmel. Bei dem Anblick merkte er erst, wie hungrig er eigentlich war. Die beiden Verkäuferinnen standen hiner dem dampfenden Grill und hatten etwas von mystischen Priesterinnen mit ihren Schürzen, wie Dämoninnen in einem 3D-Spiel bauten sie sich vor ihm auf, unnatürlich verzerrt vor seinem Auge. Er sah sie aus Froschperspektive. Sie übten ihren harten Job aus und standen wohl schon seit Stunden in diesem Dampf. Die Müdigkeit war ihnen ins Gesicht geschrieben und die träge ausgeführten Routinehandgriffe verliehen ihnen eine fast weihevolle Würde. Er war für sie ein x-beliebiger besoffener Wiesnbesucher, der sich an diesem Stand wiederfand mitten in der Nacht. Er – der allmächtige Big Boss war nun selber wie ein Fisch, hilflos in einem Netz zappelnd. In diesem Moment verlor er nun seine Haltung, sein Bewusstsein, seine Stellung. Er wurde wieder zum Kind, zu einem hilflosen Wesen. Mit zitternder Stimme bestellte er eine Semmel.
Dunkelbraun triefend liess die Verkäuferin die durchgeschmorten Zwiebeln mit einer Schmorzange in die Semmel zum Fleischpflanzerl rutschen. Wie eine Opfergabe in einem mystischen Initiaionsritus empfing Big Boss nun die Semmel. Fleischpflanzerl mit geschmorten Zwiebeln waren als Kind immer seine Leibspeise gewesen. Wie lange war das jetzt schon her? Fast andächtig biss er mit halbgeschlossenen Augen in die Semmel und musste plötzlich jäh aufzucken: Es schmeckte grauenvoll. Diese Semmel hatte nichts mit den Fleischpflanzerlsemmeln aus seiner Kindheit zu tun. Gottverflucht. Nun packte ihn das pure Entsetzen. Die Zwiebeln sahen aus wie Würmer. Diese Semmel roch nach rohem toten faulen Fleisch. Ihm kam das Kotzen. Big Boss hatte die Kontrolle über sich verloren. Er mußte an Tierkadaver denken, an große Rinderaugen, die aus ihren Höhlen rutschen. Er ging einige Schritte, sah sich hilflos um, sah auf die Semmel in seiner Hand und fühlte sich plötzlich sehr sehr einsam. Er fiel fast während dem Gehen in sich zusammen, fing sich in letzter Sekunde, setzte sich auf einen Bordstein, atmete schwer, legte die Semmel verstört neben sich und merkte, wie ihm der Magensaft hochkam, während er allmählich das Bewusstsein verlor.

Veröffentlicht im Gaudiblatt Nr. 20: Konsumausgabe (November 2014), www.gaudiblatt.de

Heimat Nr. ?

Melenagzi/Akcakoca

Heimat ist das Bedürfnis der Rückbesinnung auf die ursprünglichen Werte. Vor allem jetzt, in einer Zeit, in der die Postmoderne – die innere Entfremdung – ordentlich zugeschlagen haben und das Leben auch immer ein Stück Terror wird. Das Resultat? Wir sehnen uns zurück nach der ersten Kugel Eis unseres Lebens, nach dem Geschmack der Paprikawurscht von damals, als die Mama noch das Frühstück gemacht hat, nach unserem Nintendo, Atari, etc. Altes Vinyl ist zum Beispiel der König der ewigen Heimat. Wenn man nach dem Motto „Home is where the heart is“ geht, dann sollte die Frage nach der Heimat doch eigentlich sehr leicht zu beantworten sein! Nur: wo ist mein Herz denn gerade überall?

Wie auch immer: wenn die Heimat auftaucht, dann überfällt uns meist ein sehr tiefes Gefühl, das uns sogleich vom hier und jetzt entfernt und woanders eintauchen lässt, in eine andere Empfindungswelt, in einen alles mitsichreissenden Strom der ewigen Sehnsucht, dem man – auf kurz oder lang – völlig ausgeliefert ist. Soweit zumindest meine Erfahrung!

Wenn ich hier in München an einem sonnigen Frühlingstag aus dem Haus gehe und mir bläst eine frische Brise ins Gesicht, mit diesem spezifischen Geruch von klarer Kälte, dann ist das z.B. so ein Moment. Da denke ich dann….genau: an die westliche Schwarzmeerküste der Türkei, wo ich die ersten vier Jahre meines Lebens verbracht habe, an dieses kleine Fischerdorf direkt an der Mündung eines kleinen Flüßchens, wo damals das klapprige Holzhaus meiner Großeltern noch stand, auf einem kleinen Grundstück mit einem ungepflegen Garten, direkt an der Küstenstrasse, leicht erhoben über dem Sandstrand mit meterhoch schäumenden Wellen und wenn die Kühe nicht gewesen wären, die sich unter der Frühlingssonne auf dem Sand herumfläzten, dann hätte man sich in manchen Momenten fast auf Hawaii denken können, aber damals hatte ich ja noch keine Ahnung von Hawaii.

Dann gibt es noch die unmittelbare Heimat: das gute bayerische Bier, Brezn, den englischen Garten, hübsche Schickies, Frisbees, die Express Brass Band und so weiter. Das Olympiagelände und Milbertshofen, wo ich aufgewachsen bin. Das BMW-Werk in dem mein Papa und meine Mama jahrelang gearbeitet haben. Wie sie immer total geschafft von der Schicht heimkamen und sich über die Hackordnung am Fliessband und die blöden Sprüche der Vorarbeiter geärgert haben.

Heimat Nr. 3 ist die Musik, der Funk, der Rhythmus, Yoruba, das Spirituelle Ritual der handgemachten Musik, Jazz, Kraut, Embryo, die wahren Hippies, die nie aussterben werden und alles, was sie uns geschenkt haben.

Heimat Nr. 4 ist der urbane Dschungel, das „immer schneller“, die Beats, die dir um die Ohren pfeifen und sich mit dem Lärm der Großstadt mischen. Das universell urbane, dass überall gleich zu sein scheint und doch immer ganz anders ist, Istanbul – München.

Heimat Nr. 5 ist die ewige Opposition, Graffitti, Che Guevara, das immer dagegen sein, das gegen den Strom schwimmen, das sich die Unabhängigkeit bewahren, die Rebellion, das nicht schweigen.

Heimat Nr. 6 ist die Antike und auch der Neoklassizismus…

Heimat Nr. 7, Nr. 8, Nr. ?

Veröffentlicht im curt Magazin Nr. 78, Sommer 2014: http://www.curt.de/muenchen/curt-magazin-78-heimat/

An Tagen wie diesem…

…darf ich als türkischstämmiger deutscher Autor endlich mal etwas über Krieg schreiben. Fuck Yeah! Paßt Faust auf’s Auge. Ich will das hiermit auch auf’s schonungsloseste tun. Geradezu diabolisch sitze ich nämlich hier vorm Laptop und hämmere meine ungehemmte Kanackenaggressivität in die Tastatur mit dem feinsten Instinkt dafür, wie ich eure innere eu-genormte biodeutsche Sonntags-Sesselfurzer-Kartoffel so richtig wild machen kann. Natürlich sagt ihr jetzt: „Aber ich bin doch GaudiblattleserIn – ich bin doch nicht so eine/r“. Aber ich werde trotzdem so fett provozieren, daß alles zu spät ist. Für Türkmurkans hab ich erstmal einen euphorisierenden Einstieg, aber freut euch nicht zu früh: ihr kommt auch noch dran! Allen anderen, die sich von all meinen Provokationen überhaupt nicht angegriffen fühlen, weil andere Baustelle, habe ich nur eines zu sagen: „Ihr seit’s hammerkrass! Respekt!“

Wir starten mit einem Geständnis: „Ich find sie nämlich richtig geil – die türkische Fahne!“  Rein ästhetisch natürlich nur! Das muß ich ehrlich sagen: „Es ist eine der schönsten Fahnen der Welt“. Schlichte Schönheit, tolle Symbolik, romantisch, poetisch – einfach schön. Weisser Halbmond und Stern auf rotem Grund. Ich bin ja Deutscher jetzt und muß sagen, daß ich die Germany-Fahne hingegen richtig scheiße finde. Also rein ästhetisch mein ich das jetzt natürlich!

Haha jetzt zieht ihr beleidigt eure Fratzen, ne? Die einen finden’s unseriös und sind pikiert. Die politisch korrekten Aktivisten sagen: „…Na ja…was soll das denn jetzt? So unreflektiert..“. Und andere fangen schon an zu schimpfen: „So’n dreckiger Türke, macht sich über unsere Fahne lustig – dann geh doch heim zu deinen Stinketürken! Moslems, Molukken! Scheiß Knoblauchfresser Kanibalen Dreckspack“.
Ja genau das mag ich! Wenn ich euch provozieren und konfus machen kann:  die inneren Faschos rauslocken und BÄÄÄÄM – hart eins in die Fresse! BÄÄÄM und noch fett eins in die Magengrube, auf daß ihr eure Alemannendarmgrütze auskotzt. JAH!

So! Jetzt hab ich die Dschörmäns mal schön herprovoziert. Der Vorwaschgang kann losgehen: „Also macht euch mal locker, ok? Rein inhaltlich gesehen find ich nämlich beide Fahnen so richtig Dünnpfiff. Ich finde eh, daß Nationalfahnen inhaltlich vollends irrelevant sind. Interessiert mich nicht. Ich bin Anarchist mit ästhetischem Anspruch. So schaut’s aus. Und deswegen sage ich: Man sollte Nationalfahnen nur nach ihrem ästhetischen Wert betrachten und da schneidet bei mir – ganz subjektiv – die türkische einfach besser ab. So! Aber ich finde beide inhaltich sinnfrei. Und jetzt ärgert euch grün, blau, meinetwegen schwarzrotgold oder rot-weiß-Majo. Wenn man alles mischt gibt’s eh nur Kackefarbe. So Faschokackefarbe, hahahahaaaaa.

Kommen wir zum eigentlichen Thema: Krieg! Was haben Türken, Deutsche und Krieg gemeinsam? Richtig: so einiges! Also ich hab ja mal einen Realschulabschluß hingelegt – ich sag’s euch – so richtig migranten-mittelmäßig. Aber es gab auch Fächer, die ich interessant fand und eines davon war doch tatsächlich Geschichte! Da hab ich immer zugehört, weil ich das so spannend fand. Als ich nach der Rückkehr meiner Falmilie ins „heilige Vaterland“ ein türkisches Lyzeum besuchte, war’s dann noch viel spannender. Weil da gab’s so viele Nationalhelden. Viel mehr, als in Deutschland. Ist klar – „die Deutschen sind ja auch Schlappschwänze. Die haben halt keine richtigen Helden. Die haben nur so Karl der Große, Barbarossa, Gutenberg, Luther und Hitler“, dachte ich mir (damals war ich 15)!

Alles schon ganz interessant, aber bei den Türken da gab’s eben hingegen ein Osmansiches Reich, Fatih Sultan Mehmet den Eroberer von Istanbul, Süleyman den Prächtigen, Sinan den großen Architekten, Selim II, Hazerfen Celebi, der sich tatsächlich Flügel gebaut und den Bosporus überflogen hatte, die Schlacht an den Dardanellen und natürlich Atatürk voll geil Vater der Türken und noch viel mehr Helden mit Hoden. Ich beendete die Schule und war wie alle stolz auf meinen türkischen Penis!

Dann kam ich wieder nach Deutschland – zu den Trantüten. Schicki Micki, Poppi Poppi, laber laber, Studenten, Bildungsbürger, Biersäufer, Hooligans, Nazis, Hululuuu, weißt schon! Und so allmählich begann ich mich auch zu verhalten, wie ein deutscher Schlappschwanz. Ich fing an zu studieren, laberte schlau daher und reflektierte und und und…hatte dann plötzlich Magister Artium in Klassischer Archäologie gemacht und fuhr immer schön in Bildungsurlaub nach „Kleinasien“, Antike Stätten besuchen. Ephesos, Thelmessos, Laodikea, Pergamon, Troja…

Als ich Troja besuchte, machte ich dann einen Abstecher zu den besagten Dardanellen. Ich wollte das legendäre Schlachtfeld von Gallipoli besuchen, wo Atatürk im ersten Weltkrieg die Engländer und ihre Anzac-Armee (Australian and Newzealand Army Corps) mal so ordentlich platt gemacht hat. Wer wissen will, wie denn die  Australier und Neuseeländer so drauf waren, daß sie extra Meilenweit herübergeflogen kamen, um sich ne Abreibung zu holen, der/die sehe einfach im Internet nach. Ich zog mir jede Frontlinie rein und gab mir jeden Schützengraben und suchte nach Spuren meines Helden, der immer noch in meinem Herzen schlummerte: „Mustafa Kemal“, der Befreier, der Retter, der heldenhafte David gegen den alliierten Goliath. Ich las jede Infotafel und besuchte jedes Gräberfeld.

An einer Stelle war dann die komplette osmanische Heeresleitung aufgelistet. Mein Blick ging natürlich voll Neugierde ganz nach oben und da las ich nun… einen gar nicht so türkischen Namen: „Liman van Sanders“ und noch einige andere, die so ähnlich klangen. Das waren Namen von Generälen der osmanischen Armee! Hallo! Die höchsten Positionen! Da wurde es mir nun richtig bewußt: eine wesentliche historische Episode beider Nationalkulturen war (zumindest im Vergleich zu ihrer reellen historischen Gewichtung und Relevanz) in beiden Schulsystemen flachgehalten worden: „Das deutsche Kaiserreich und die Osmanen waren Verbündete im ersten Weltkrieg gewesen!“. Aber volle Kanüle! Und die Germans waren wieder die schlauen Führer. Mein geiler Atatürk hatte unter deutschen Generälen gedient! Liman van Sanders war der verfickte Stabschef! Als ich das las war ich so Anfang zwanzig.

Hauptwaschgang: Ich war angefixt! Nun wollte ich es wissen. Ich las historische Sachliteratur (mein Lieblingsgenre) und erfuhr so einiges. Zum Beispiel erfuhr ich nun mehr über den größten Widersacher Kemal Atatürk’s – einem gewissen Enver Pasha, ein egomanischer Großkotz und skrupelloser Kriegstreiber ohne gleichen, der genauso wie Kemal eine deutsche Militärakademie absolviert hatte und auch fließend deutsch sprach. Dieser Enver Pasha hatte eine panturkistisch-nationalistische, geheime, bewaffnete Untergrundorganisation namens „Ittihat ve Terakki“ (Einheit und Fortschritt) gegründet und sich während der unruhigen Phase des frühen 20’sten Jahrhunderts an die Position des Kriegsministers geputscht. Er wurde besonders in der Vorkriegsphase als hochrangiger militärischer Unterhändler des Sultans von Kaiser Wilhelm II sehr geschätzt. Er war so populär in Berlin, daß eine eigens produzierte Zigarettenmarke, sowie eine Brücke bei Potsdam nach ihm benannt war (letztere leider im Krieg zerstört).

Wilhelm II und Enver Pasha

Wilhelm II und Enver Pasha bei einem Empfang in Istanbul während des 1. Weltkriegs 1917.

 

Ich erfuhr, daß Deutschland im Vorfeld des 1. Weltkrieges mit Großbritannien um die Gunst des osmanischen Reiches als potentiellem Kriegsbündnispartner konkurierte, daß beide Reiche scharf auf die Oberhoheit über die Bahnverbindung in die ölreichen Regionen im Zweistromland waren und somit auch auf die geographische Kontrolle über diese auch kriegsstrategisch wichtige Region. Sie buhlten um die Osmanen als einen eitlen, dekandenten Großkunden im Rüstungs- und Geldgeschäft.

Die Deutschen setzten sich – auch mithilfe Envers – durch und somit kommen wir nun allmählich zum Schleudergang: Dieser kleine skrupellose und hinterlistige kleine Enver (er war wirklich klein, schmächtig und erinnert mich sehr an die Comicfigur „Isnogud, der bitterböse Großvesir“) heckte nun zusammen mit Kaiser Wilhelm II einen hinterlistigen Plan aus. Hinter dem Rücken des politisch stark geschwächten Sultans beschlossen sie einen militärischen Rüstungsdeal, der es in sich hatte: die Osmanen erhielten von den Deutschen zwei lang ersehnte Kriegskreuzer – die Goeben und die Breslau – samt deutscher Besatzung. Diese Schiffe wurden in Yavuz und Midilli umgetauft, die Besatzung setzte sich osmanische Fes (typische historische Kopfbedeckung) auf den Kopf, das osmanische Banner wurde gehißt und kurz nach dem offiziellen Kriegsbeginn fuhr der deutsche Kapitän nun die Yavuz (ehemals Goeben) durch den Bosporus ins Schwarze Meer und beschoß das damals russische Sivastopol. Schwupps wurden nun die Osmanen zu Kriegsverbündeten der Deutschen und kämpften fortan an der Seite des großen Kaiserreiches um Ruhm und Ehre, die sie jedoch beide zusammen ordentlich in den Sand setzten. Enver und seine Bagasch floh nach Berlin, wo einer seiner treuesten Mitkämpfer von einem armenischen Attentäter ermordet wurde. Enver selber setzte sich von dort nach Aserbaidschan ab, wo er unerschütterlich für den Panturkismus kämpfte und endlich auch krepierte. Ja ja so war das. Diese seltsame Allianz ist jedoch wohl den selbstempfundenen Nachfahren immer noch so peinlich, daß ihre lapidare Erwähnung in den Schulsystemen völlig auszureichen scheint.

Ach ja während die Waschmaschinentrommel ausläuft noch eine interessante Randnote: Enver Pasha und seine Nationalistentruppe waren maßgeblich am Völkermord an den Armeniern beteiligt – das war 1915. Mitten in der Kriegszeit. Viele deutsche Offiziere haben damals in der osmanischen Armee in besagten Gebieten gedient und waren für die Sicherung der Bahnstrecke der Bagdadbahn zuständig, welche von deutschen Ingenieuren und mit Beteiligung von deutschen Firmen wie Holzmann, Krupp etc. erbaut wurde. Armenische Handwerker (für ihr Geschick allseits gerühmt) fungierten dort als begehrte Arbeitskräfte für die Deutschen.  Nach Fertigstellung wurden sie dann größtenteils mit eben dieser Bahn samt ihren Familien in die syrischen Wüstengebiete verfrachtet, wo sie jämmerlich in den Tod getrieben wurden. Über all diese Vorgänge waren nicht nur deutsche Geschäftsleute, Militärs, sondern auch das Kaiserhaus bestens informiert. Der Kaiser ließ den Bündnispartner ungehindert gewähren – im Namen eines Krieges, der meiner Meinung nach alle bis zum jetzigen Tag dagewesenen menschlichen Kriegshandlungen (inkl. 2. Weltkrieg) auf der Bescheuertheitsskala weit hinter sich lässt.

Fuck the National Fuck Yeah!

Empfehlenswerte Literatur:
Petra Kappert, Ruth Haerkötter, Ingeborg Böer: Türken in Berlin 1871 – 1945, de Gruyter Verlag Berlin 2002
Wolfgang Gust: Der Völkermord an den Armeniern 1915/16. Dokumente aus dem Politischen Archiv des deutschen Auswärtigen Amts,in: Journal of Genocide Research, Volume 8, Issue 3, 2006
Armin T. Wegner: Der Weg ohne Heimkehr: ein Martyrium in Briefen. Berlin 1919

(Veröffentlicht im Gaudiblatt Nr. 19, Juli 2014, München: http://www.gaudiblatt.de/cms/alle-gaudiblaetter/19-krieg/)

Dries Verhoeven und sein inneres Niemandsland

Eine Kritik von Triptonious Coltrane zum Stadtprojekt „Niemandsland“ von Dries Verhoeven, welches im Rahmen der Münchner Kammerspiele im Hauptbahnhofviertel in München durchgeführt wird.

Erstmal für alle, die gar keine Ahnung haben. Es geht um dieses Stück: http://www.muenchner-kammerspiele.de/spielplan/niemandsland/

Niemandsland-Dries-Verhoeven-475x318

Die beste Szene war für mich die allererste. Ich durfte mit dramatischer musikalischer Beschallung über Kopfhörer unter der Tonne des Hauptbahnhofs in München stehen und diesen Trubel beobachten. Es war wie ein beeindruckender Vorspann zu einem spannenden Film. Gepäckwagen fuhren vollbeladen mit Koffern und Menschen vorbei – Menschen in all ihren Facetten. Menschen deren Geschichten sich verheißungsvoll im Raum auffächerten. Dieser Ort läuft jeden Tag nur so über von Geschichten, Schicksalen, Freuden, Erwartungen, Träumen, Dramen, Hoffnungen… wunderbar zu lesen in all diesen Gesichtern. Leider sollte im weiteren Verlauf des Projektes nichts an den Glanz dieser Szene anschliessen, was ich zu dem Zeitpunkt wohl innerlich ahnte, aber eigentlich nicht ahnen wollte.

Ich stand also nun da mittendrin mit einem Blatt Papier in der Hand, auf dem ganz groß „Nasrin“ stand. Ordentlich aufgereiht standen wir alle in einer Reihe vor den Apsperrungen der Gleise – wir, die wir teilnahmen an diesem Stadtprojekt. „Nasrin“ – das war wohl der Name meiner Führerin, die mich jetzt bald abholen würde, um mich mit auf eine Reise zu nehmen – mich, zusammen mit meinem digitalen Empfänger in der Tasche, aus dem klassische Musik als Soundtrack herausströmte und über einen Kopfhörer meine Sinne überströmte. Die Szenerie des Lebens am Originalschauplatz – die Realität als die reinste, die perfekte, die unüberbietbar gehaltvollste Form der Inszenierung spielte sich noch vor meinen Augen ab – berauschend!

Plötzlich tauchten jedoch einige von den Menschen in den Vordergrund – Frauen und Männer – fast alle mehr oder weniger dunkelhäutig, viele der Frauen kopftuchtragend, irgendwie mit bestimmten Codes und Merkmalen versehene Menschen eben. Sie tauchten aus dem Gedränge auf und standen mit verschlossenen Augen frontal der Reihe der TheaterbesucherInnen zugewandt in der Menge und bewegten den Mund, um ein Mitsingen des Musikstückes zu suggerieren, das gerade über den Kopfhörer lief. Die heterogene Struktur der realen Szenerie, die ich noch einige Sekunden vorher erleben durfte, wurde nun allmählich gebrochen durch eine klare Frontlinie. Die Bühne war nun installiert. Die DarstellerInnen hatten ihre Positionen eingenommen.

Der Vorspann neigte sich dem Ende zu, das Theater begann – jedoch mit einer entscheidenden Besonderheit: Vom Theater sind wir als BesucherInnen im generellen gewohnt, dass die Persönlichkeit der DarstellerInnen aufgeht in der Rolle, die sie spielen. Hier nahmen die DarstellerInnen die Rolle ihrer schon vorgegebenen migrantischen Identität auf. Sie spielten sozusagen sich selbst, oder zumindest Jemanden aus dieser – von Dries Verhoeven – als klar abgegrenzt formulierten Gruppe von Menschen. Sie befanden sich dort mit der Identität, die ihnen aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft zugeschrieben wird. Vorher war es ein reelles „Ineinander“, nun wurde es zu einem synthetischen „Auseinander“. Und die besagte Gruppe stand nun der meinigen (also den BeobacherInnen) frontal gegenüber. Die Gesellschaft war ab jetzt strikt geteilt – sehr strikt!

Schon diese Szene fand ich befremdlich. Das Identitätsbild „Migrant“ war nun auf der Alltagsbühne der Bahnhofshalle gesetzt und ich fragte mich instinktiv: „Wo stehe ich mit meinem bikulturellen Hintergrund denn? Wo ist nun mein Platz? Bin ich hier im Publikum denn überhaupt richtig? Oder müsste ich nun bei meinen „migrantopigmentierten KollegInnen“ stehen?

Instinktiv fühlte ich mich sofort unwohl. Sprich: Der Publikumssessel, den Dries für mich vorgesehen hatte, war mir jetzt schon zu eng und Dries hielt zusätzlich noch meinen Kopf fest und wollte mir eine Blickrichtung vorgeben. Ich als Mensch mit multiplen sozialen, kulturellen und gesellschaftspolitischen Erfahrungen habe aber viel zu viele Perspektiven im Kopf, um mich auf eine zu beschränken, also sah ich weiterhin um mich und sättigte mich instinktiv an jeder Sekunde des Alltagstrubels – ahnend, dass die Reise, die jetzt folgen würde, wenig für mich zu bieten haben würde.

Nun dachte ich an meinen Konterpart. Ich sah sie vor meinem inneren Auge schon auf mich zukommen: „Nasrin“. Ich sah ihren freundlichen wohlgesonnenen und einladenden Gesichtsausdruck, ihre zuvorkommende Art, ihre Freundlichkeit, ihr Gebahren, ich sah ihre Rolle und ich hoffte nichts dringlicher und sehnlicher, als eine überraschende Nichterfüllung meiner instinktiven Erwartung. Ich als paganer Vielgötterverehrer betete nun in diesem Moment. Ich betete den Gott des Hauptbahnhofes an. Ich sagte: bitte lass mich überrascht sein. Lass mich Dries Verhoeven annehmen mit seiner Perspektive. Oh Gott des Hauptbahnofes, verleih ihm die Eingebung, mir und meinesgleichen die Freiheit zur Entfaltung der eigenen Perspektiven zu gönnen. Ich betete innerlich um eine Brücke in der Dramaturgie, die mir zeigte, dass dieses Stück schon auch für mich gemacht war, dass die Kammerspiele auch Geschichten produzieren können, in denen ich ebenso als Adressat in der Zielleiste eingetragen bin. Aber es sollte mir leider – wie so oft – nicht vergönnt sein.

Nasrin kam und agierte genau so, wie ich sie mir vorgestellt hatte, genau so, als ob ich sie schon ein Jahrhundert kennen würde. Was danach passierte, war tatsächlich alles andere als spannend. Es war sehr langweilig. Ich kam mir sehr albern vor, hinter jemand stummen herlaufen zu müssen, während mir eine Stimme aus dem Off Nasrins Lebensoptionen auflistete. Nasrin könnte dies, könnte das, sie könnte gefoltert worden sein im Iran, sie könnte gut deutsch sprechen, sie könnte jemanden ermordet haben, ich könnte verwundert sein, sie könnte nur so frustriert klingen, aber im Grunde könnte sie das gar nicht sein wollen können müssen dürfen und und und… die Optionen der Geschichten wurden immer abstruser und in einem wilden Stakkato lediglich immer nur angerissen – auf eine sehr plumpe, plakative und aufdringliche Art und Weise wie ich übrigens fand – und es waren zum Großteil sehr dramatische, traumatische Optionen. Die Stimme aus dem Off gehörte wohl einer deutsch-deutschen biologisch reinen sehr betroffenen Sprecherin und war so beschaffen, dass sie einen innerhalb von einer Stunde schwer depressiv machen konnte.

Wie denn auch nicht? Die positiven Optionen in diesem migrasmischen Drama einer Nasrin waren schließlich sehr dünn gesät. Nasrin könnte (immer schön im Konjunktiv) nämlich eigentlich nur eine missverstandene, unterschätzte, schlecht behandelte, frustrierte, eine traurige, eine hart vom Leben gezeichnete Person sein, etwas anderes hingegen nur schwer, so schien es.

Die Stimme aus dem Off machte diese Sachlage im sturen Konjunktiv immer klarer und klarer und gleichzeitig mir als Besucher des Stückes auch ständig subtile Vorwürfe. Ständig nahm sie an, dass ich mir ein normales Leben dieser Nasrin gar nicht vorstellen könne, dass mich die Dramen ihres Lebens nie berühren würden, das ich wohl nur so tun würde, als ob ich Empathie zeigte, aber die Wirklichkeit dieser Gesellschaft sich in Form einer eisernen Trennlinie tonnenschwer zwischen sie und mich legen würde und ich diese wohl nie überwinden könne. Dabei war ich ihr doch schon total nahe verdammt? Mist! Ich war doch wie sie eigentlich? – ich war im falschen Plott gelandet! Das war wie in den Urlaub fliegen und nach ein Paar Schleifen wieder im Ausgangsflughafen landen.

Nun fing sie auch noch an zu tanzen zu diesem indischen 70’er-Jahre Popsong, den ich so gerne mochte! Ich wollte mit ihr zusammen auf einer Höhe laufen, um diese Wonne mit ihr zu teilen, doch sie machte mir sehr bestimmt die Regieanweisung klar: „Bleib bitte hinter mir und bleib auf Distanz! Wenn ich mich jetzt hier amüsiere, dann ist das keine Einladung für dich, es mit mir gemeinsam zu tun. Was du da hinter mir machst, ist mir einerlei. Ich tanz dir jetzt mal einen vor und du und das ganze Viertel schaut mir dabei zu. Bin ich nicht cool? Bin ich nicht eine arschcoole migrantistische Laiendarstellerin? Wie toll, nicht? Die Kammerspiele – DIE KAMMERSPIELE – bieten mir, JA MIR eine Möglichkeit, dich jetzt mal auf deine Vorurteile zu hinzuweisen. Na Erwin? Hast du so etwas schonmal erlebt?“

Das Problem war nur, dass ich nicht Erwin war. Ich bin immer noch der Tuncay….Und das schlimmste waren all die Leute, die mich komisch ansahen, weil sie wohl dachten ich renn der Frau jetzt hinterher, um sie dumm anzulabern.

Spätestens in diesem Moment wurde jedoch wieder einmal klar: Ich bin in dieser Situation als ein Mitglied der weissen Mehrheitsgesellschaft angesprochen. Ich bin gerade der durchschnittliche Theaterbesucher. Ich bin nicht Ich. Ich habe deutsch-deutschen Bildungsbürgerbackground, oder ich bin Else, die Hausfau mit Jahresabo, oder ich bin doch Erwin der Gymnasiallehrer, oder ich bin Brian, der vor Jahren als Austausstudent aus Irland kam und seit Jahren bei dieser Agentur im Lehel arbeitet und und und und….Aber ich bin nicht Ich in diesem Moment. Ich bin eben „nicht“ der Tuncay, dessen Eltern 1967 bei BMW am Fliessband zu arbeiten angefangen haben, ich bin nicht der Mehmet, der Filmproduzent, der in Blumenau aufgewachsen ist, ich bin nicht Özlem, die seit Jahren beim Radio arbeitet und immer nur für die Migrationsthemen zuständig ist. Ich bin auch nicht die Fatma, die jeden Tag beim Gemüsehändler an der Kasse sitzt. Ich bin nicht der Bruder von Theodoros, der 2005 im Westend von der NSU ermordet wurde. Ich bin nicht Famadi, der großartige Percussionist, mein Idol. Ich bin nicht Laye Mansa, mein Freund Laye Mansa, der mit geschlossenen Augen in der Menge am Hauptbahnhof stand – mein Freund Laye, der großartige Musiker, der sich herablässt, sich hier als Laiendarsteller zu verdingen für paar Euro fünfzig. Leute wie Laye sind die stummen Guides. Und ich müsste jetzt eigentlich auch dort stehen, wo Laye steht.

Aber wie vermessen bin denn ich, dass ich annehmen könnte hier als Zuschauer adressiert zu werden? Ich gehe hier mit, um mir ein Bild von diesem Stück machen zu können. Aber nicht als Besucher. Ich gehe hier mit als Kritiker, als kritisches Subjekt, dass sich seine Position selber geschaffen hat. Eigentlich habe ich hier doch nichts verloren? Ich wurde ja auch von der Presse eingeladen, sonst wäre ich ja gar nicht gekommen. Was soll ich denn auch da? Ich weiss doch im Grunde, was auf mich zukommt. Ich kenn das doch schon seit Jahren.

Und ich höre meine Freunde jetzt sagen: „Tuncay tu doch nicht so entrüstet, das ist doch schon immer so gewesen. Was regst du dich jetzt plötzlich so auf? Du bist nicht eingeladen. Offiziell vielleicht schon, aber faktisch warst du es noch nie. Denn was einen einlädt ins Theater ist doch der Inhalt, das Format, das Angesprochenwerden, das Adressiertwerden. Du hingegen kannst da sein, oder nicht, kannst dich dazu äußern oder nicht, kannst seitenweise Texte schreiben und kritisieren. Im Grunde hat das nichts beizutragen, es hat von sich aus keine Schwere, keine Relevanz“.

Aber ich weiss: die Relevanz habe ich nur, wenn ich so laut brülle, dass die Presse und die Kulturlandschaft aufmerksam wird. Nur dann habe ich Relevanz. Als Teil dieser Gesellschaft bin ich jedoch in diesem Theater völlig IRRELEVANT!

Und Nasrin? Laye? und all die anderen, die dieses Spiel mitspielen? Anscheinend hat es ihnen nichts ausgemacht, oder sie haben wirklich nur ihre Rolle gespielt – diese eng geschnittene Rolle, in der sie ja eigentlich doch wieder nur sich selbst verkörpern können. Wen sollen sie auch spielen, wenn nicht sich selbst? Den Erwin, den Karl, die Gertrude, den Louie? Schau sie dir doch mal an: sie können doch im Endeffekt nur sich selbst spielen: den Migrantasten mit dem millieuspezifischen Lebensdrama.

Nun  wie dem auch sei. So zog sich das ganze über die Bayerstrasse zur Schwanthalerstrasse, von dort zur Theresienwiese In einer unendlich scheinenden Schleife der Nonkommunikation bin ich Nasrin gefolgt und habe mir ihre Dramaoptionen angehört, die wohl meine vermeintlichen Vorurteile ihr gegenüber formulieren sollten – also eigentlich die Vorurteile mir selbst gegenüber. Ich folgte ihr also als der prädestinierteste Fehladressat, den man sich in einem solchen Stück nur vorstellen kann und hoffte auf einen Ausbruch. Aber er kam nicht. Die Stimme aus dem Kopfhörer hämmerte auf mich ein und liess mir kein bisschen Freiheit für meine eigene Empfindungswelt – ich war in Dries‘ verschrobenen Perspektiven gefangen und er stülpte sie uns Wort für Wort über. Er hatte uns in ein sehr enges Korsett geschoben und machte uns klar: „Diese Gesellschaft hat ein Kommunikationsproblem“.

Wie recht er hat! Am meisten leidet er selbst darunter. Gut, mag ja sein. Nur: ist das wirklich was grundlegend neues? Das weiss ich schon seit meiner Geburt und Dries weiss es seit 7 Jahren, als er festgestellt hat, dass seine Putzfrau eigentlich eine Ausbildung hat, aber keine Arbeit findet, weil passt nicht, sieht nicht entsprechend aus, hat den falschen Nachnamen, was weiss ich… Das ist tatsächlich nach eigener Aussage der Grund, warum Dries angefangen hat, sich mit migrantomanischen Themen zu beschäftigen, weil er zu der spektakulären Einsicht kam: In dieser Gesellschaft haben wir ein Problem. Aha?

Nun, wie gesagt: Das wissen wir ja alle. Über die Phase, in der man Probleme noch sichtbar machen musste sind wir schon lange hinaus. Wir liegen schon seit Jahrzehnten mittendrin, wie in einer Jauchegrube. Wer solch ein Stadtprojekt braucht, um das erstmal wahrzunehmen, der hat wirklich ein Problem. Diese Thematik wird mitlerweile seit Ewigkeiten schon von Standupcomedians parodiert, die wie Pilze aus dem Boden schiessen.

Ich erwarte als Theaterbesucher jedoch neben diesem allseitsbekannten Fakt auch eine bewegende Geschichte, aber Dries gibt uns nur einen Sack voll angefanger Optionen, scheinbar wahllos aneinandergereiht und gespickt mit Stereotypen, dargebracht von einer depressiven Stimme aus dem Off und visualisiert von einer Darstellerin, die nicht sprechen darf, die mich nicht berühren darf, die auf Distanz bleiben muß und gefangen ist in ihrer Identitätsbürde. Ich dachte mir ganz in Kanakenmanier: „OK, dann eben keine Story, ist ja ein Experiment, passt alles, aber wenn nach dem Affentanz nicht irgendwas kommt, was mich Emotional auf den Mars katapultiert, dann reiss ich euch nachher den Arsch auf, ich schwör!“

Dann spielte ich kurz mit dem Gedanken, selber auszubrechen – ihr ihre Kopfhörerstöpsel aus den Ohren zu reissen, sie an der Schulter zu packen, durchzuschütteln und zu fragen: „Warum machst du das, Nasrin? Warum? Warum? Für paar Euro fünfzig? Für die Referenz? Erhoffst du dir Erlösung, Nähe, Herzlichkeit? Warum bist du so ein Schaf Nasrin? Warum machen wir nicht selber sowas und lassen all die Dries Verhoevens dieser Welt mit Kophörern in irgendwelchen Vierteln rumlaufen, drücken ihnen Identitypolitics-Propaganda rein und lassen uns das finanzieren vom Steuerzaler? Das ist doch nicht sooo schwer Nasrin? Rede ich mit mir selber? Bin ich eigentlich Nasrin?

Aber dann entschied ich mich dafür, gerade dies eben nicht zu tun. Denn das würde ja wohl wieder der Gegenargumentation dienen: „Ja, du hast ja das Stück nicht in Ruhe und unvoreingenommen bis zum Ende angesehen. Du verlierst ja ständig die Contenance und intervenierst ja nur. Du machst ja Politik! Wir hingegen machen Kunst, bla bla bla bla“. Deswegen habe ich mich dem harten Korsett der Darbietung ergeben und bis zum bitteren Ende weitergemacht.

Im weiteren Verlauf schlug die Farce Kapriolen. Nasrin blieb wieder einmal vor mir stehen (ein schöner Rücken kann entzücken) legte eine Mandarine, oder Orange ins Wurzelwerk eines Baumes und drehte sich um, um mir mit einem Kopfwink zu suggerieren, dass ich sie mir nehmen darf. Ab diesem Moment war das Stück vollkommen auf das Wohlwollen des Zuschauers angewiesen. Es wurde langweiliger und langweiliger. Diese synthetische Pseudomystik machte mich schier wahnsinnig.

Am Ende flossen dann alle Darsteller-Besucher-Päärchen wie die Lemminge auf die Theresienwiese – die DarstellerInnen tanzten und schwangen die Arme – die BesucherInnen trotteten hinterher – beide wurden im Grunde ihrer Eigenständigkeit und ihres Seins beraubt. Sie waren alle Teil von Dries‘ verschrobener Optik geworden. In mir explodierte ein Wut-Vulkan. Ich war kurz vor dem Würgereiz und die liebe Nasrin machte das Ganze mit ihrem naiven Gehampel auch nicht gerade besser.

Die Hoffnung leuchtete am Horizont. Ich spürte, wir kamen dem Ende nahe: wir erreichtenn eine Reihe von kleinen Kabinen, die aussahen wie am Husumer Strandbad anno 1942 nur etwas KZ-mässiger. Nasrin öffnete die Türe und liess mich ein. Drinnen ein Stuhl. Als Gentleman setzte ich mich natürlich nicht gleich und wandt mich ihr zu. Auch dies ein Affront gegen die Regieanweisungen scheint es. Sie wies mich bestimmt darauf hin, mich zu setzen. Ich dachte: „Erstaunlich wie unterwürfig sie dieses Spiel mitmacht! Sie erfüllt die vertragliche Abmachung bis zum letzten Buchstaben“.

Dann kam der krönende Abschluß: sie schloß die Tür – es war komplett dunkel. Wir sind alleine. Sie nahm mir die Kopfhörer ab, legte ihre Hände auf meine Schultern und ich freute mich und dachte: „Jetzt spricht sie endlich! Jetzt bricht sie aus der Wortlosigkeit aus, zitiert, Goethe, Schiller, Tolstoi, Marx, Lenin, Mark Twain, Angela Merkel, Putin … was weiss ich was – irgendetwas, dass mir etwas sagt, das meinen Intellekt beansprucht, das uns die Chance gibt uns auf menschlicher Ebene zu verständigen und uns nicht nur wie Tiere zu taxieren“.

Und was machte sie? Sie murmelte unverständlichen Schamanengesang, der für mich unverständlich blieb. Wahrscheinlich wurde sie aufgefordert, ihr Lieblingslied zu singen in ihrer Sprache. Und weil sie nicht singen konnte, oder so hat sie irgendwelche fiktive Lautsprache spontan für mich improvisiert. Aber sie hat nichts gesagt! Auch ein Lied kann so vieles sagen, Poesie, Lyrik…Warum nicht, Dries? Warum? Warum müssen diese Menschen so stumm bleiben? Warum so unverständlich? Warum so undefininiert?

Hast du Angst vor ihnen, Dries? Nach 7 Jahren Niemandsland in den Niederlanden, in Athen und sonstwo. Nach 7 Jahren hat sich da nix getan? 7 Jahre Stillstand? Immer noch kein Schritt auf das ewig Fremde in dir selbst? Armer Dries. 7 Jahre Theatertherapie und kein Resultat? Armer Dries Verhoeven!

Denkst du überhaupt daran, wie ich mich fühle hier in dieser komischen dunklen Schachtel? Keine Story, kein Erzählstrang, keine Sprache, gar nichts. Eigentlich wie im Knast. Eigentlich eiskalt und faschistoid. Müssen sich alle Guides, die sich vor den Kabinen in Reihe aufgestellt haben sich abwenden und gehen, ohne ein Wort gesprochen zu haben, so das ich nur noch ihre Abgewandtheit sehe und das auch nur in einer projezierten Liveübertragung von Aussen?

Achtung, Achtung, die armen traumatisierten Migranten gehen jetzt und lassen dich alleine, Erwin. Na, was machst du jetzt mit deinem dunklen schlechten Gewissen?

Ja, klar – du gehst ins nächste Kammerspielestück und suchst weiter nach dem Menschen in dir!

Welches Niemandsland ist das Dries? Das ist das Niemandsland einer trockenen Gewissenslandschaft. Das mag dein Verhältnis mit der Welt wiederspiegeln und du magst das so in deiner künstlerischen Freiheit verarbeiten, aber was haben die von dir einer bestimmten Farbskala entsprechend ausgesuchten Menschen damit zu tun? Warum willst du deine persönlichen inneren ungereimtheiten auf dem Rücken eines aktuellen gesellschaftlichen Diskurses abarbeiten, der mit deinem privaten Hirnfick nichts zu tun hat?

Fazit:

Ich finde das Stück von Dries Verhoeven nicht nur misslungen, sondern auch rückschrittlich, perspektivlos und starr, da es bestimmte Schichten ganz bewusst als Publikum ausschließt. Es ist das Projekt eines inkompetenten und schlecht informierten Menschen, der keinerlei Bezug zu dem Thema hat, das er da behandelt. In dieser Form entspricht dieses Stück in keiner Weise dem hohen gesellschaftspolitischen Anspruch, den sich die Kammerspiele auf die Fahne schreiben.

Noch dazu fördert Dries Verhoeven auf eine sehr unreflektierte Weise Bilder, die Stereotypen unserer Gesellschaft reproduzieren und zementieren. Obwohl er vorgibt Hinterfragungen von Klischees durchzuführen, ist er selber stark befangen durch seine einseitigen Perspektiven, aus denen er auch nicht herauskommt. Dries Verhoeven hinterlässt den Zuschauer inmitten seiner eigenen (Dries‘) Hilflosigkeit, die ich alles andere als spannend finde. Diese Hilflosigkeit kenne ich gut. Aus meiner eigenen Lebenserfahrung habe ich sie immer wieder gut kennengelernt. Es ist die Hilflosigkeit eines eitlen Vertreters einer postkolonialen Genealogie.

Woraus ich das erschließe? Nun ich habe einige Emaildispute mit ihm gehabt. Ich habe auch nach der Aufführung die Gelegenheit gehabt mit ihm zu sprechen. Dries hegt Ängste, die für die weisse europäische Mehrheitsgesellschaft typisch sind. Er empfindet kopftuchtragende Frauen als Symbole des Migrationshintergrunds und führt sie auch immer als Beispiele vor. Türkische Frauen mit Kopftuch empfand er – nach eigener Aussage – immer schon als Gespenstergestalten, die nicht an Kommunikation interessiert sind. Sie ignorieren ihn in seinem eigenen Land und damit hat er ein Problem. Er hat aber auch ein Problem mit seinen eigenen Vorurteilen. Er ist ein stark vorurteilsbehafteter Mensch. Mit diesem Stück bearbeitet er diese Vorurteile jetzt schon seit fast 7 Jahren.

Dies mag aus persönlicher Sicht legitim sein. Jedoch behaupte ich, dass man seine Privattherapie nicht auf Kosten der Steuerzahler betreiben kann. Die Zeit ist vorangeschritten und man muß neue Formate suchen. Die Gesellschaft verändert sich rapide und das Theater muß sich mitverändern. Dieses Format kann noch 20 Jahre so weiter funktionieren, aber das wäre eigentlich doch ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, oder nicht Dries? Und es könnte auch bedeuten, dass dieses Format, die engen Perspektiven, die es braucht um zu funktionieren reproduziert und somit weitererhält, sozusagen als perpetuum Mobile der Klassengesellschaft.

Ich würde also behaupten, dass dieses Format von Niemandsland – um funktionieren zu können –  im Grunde die Gesinnung schaffen und erhalten muß, die uns daran hindert, uns als Gesellschaft weiterzuentwickeln.

In 7 Jahren Niemandsland wäre eigentlich eine prozessuale Entwicklung zu erhoffen gewesen, aber die hat wohl nicht stattgefunden. Im Gegenteil – die Spirale dreht sich nach innen. Die Mehrheitsgesellschaft wird introvertierter und sieht mit Neid und Ungläubigkeit den Vertretern der kulturellen Vielfalt angstvoll zu wie sie selbstbewusster und selbstbewusster werden. Armselig verstecken sich die Vertreter der Hochkultur hinter ihren Schießscharten und leben die letzten Gelegenheiten aus, ihre kulturelle Übermacht zu zelebrieren.

Dries sagt, er mache dieses Stück, weil es immer noch funktioniere. Frägt sich nur, für wen es funktioniert?

Dumm gelaufen für all diejenigen Menschen von Farbe, die noch nicht gemerkt haben, dass für sie eigentlich jetzt die Zeit gekommen ist, von der Laiendarsteller- und Statistenrolle in die Rolle der AkteuerInnen zu wechseln und ihre eigenen Inhalte zu inszenieren.

Schade Laye Mansa, schade Nasrin, schade Sanaz, schade Ahmet, schade Ally, schade schade schade…ihr habt euch sehr leicht entmündigen lassen von eitlen überheblichen Menschen, denen eure Geschichten leider egal sind, weil ihre Gedanken nur um ihre eigenen kulturhegemonialen Sorgen kreisen.