Was soll ich verkaufen?

Die Authentizität? Die Herkunft? Die Roots? Und damit einhergehend die Markierung akzeptieren und als Auszeichnung auf der Brust tragen? „Ah ein stolzer Exot!“.
Oder eher die Lüge, die diesseits wie jenseits daraus produziert wurde und immer noch wird? Diese ist allenthalben unterhaltsamer, so scheint es mir. Das Clichée, das stereotype Bild des edlen Barbaren, dass seit der Antike tradition hat und sich über die Jahrhunderte ständig verändert. Denn die Barbaren von einst, sind nach all den Jahrzehnten und Jahrhunderten gerne das Etablissement geworden und geben nun ihrerseits vor, wer als Barbar bezeichnet werden darf, soll und muß. Bestes Beispiel: die Germanen.
Ich liebe es, wie die Lügen über das „Unerträgliche des Anderen“ mit der Zeit an Gültigkeit verlieren, die Farblichkeit verändern, vergilben und uns als tragikomische Relikte aus einer anderen Zeit helfen, neue Lügen über unsere „Zeitgemäßheit“ aufzubauen. Wir sind nun „modern“. So ausgelutscht dieser Begriff auch sein mag, veliert er immer noch nicht seine Gültigkeit, wobei es ja schon lange heißen müsste „Wir sind postmodern“. Aber postmodern klingt immer noch nicht richtig hip und wird es wohl auch nie sein. Also brauchen wir einen neuen Begriff, der im täglichen/medialen Sprachgebrauch das althergebrachte „modern“ ergänzen kann.
Im Dienste des „modern seins“ verkaufen wir jedoch unsere Authentizität. Das schicksal des Authentischen war es schon immer, nie gleichwertig mit dem „modernen“ Lebensstil zu sein. Das authentische galt immer als altbacken und wurde somit belächelt. Auch wenn, wir immer beteuern, wie wertvoll das einfache, simple, althergebrachte, authentische ist, wollen wir nie zu ihm stehen. Aber wenn man es geschickt zu nutzen weiss, verleiht es der Moderne – die gerne unter ihrer eigenen Oberflächlichkeit leidet – „Profil“ und „Attraktivität“. Das heisst: „das ursprüngliche, einfache, harte Leben und alles, was es an Gütern in seinem Archiv für uns bereit hält, kann ausgebeutet werden und auf Social Media als Attribut präsentiert werden: deine exotische Familie und deine Vorfahren, aus dem eurasischen Raum, oder aus dem arabischen. Je authentischer desto besser: deine Oma in ihrer traditionellen Tracht – egal wo sie herkommt: Südamerika, Nordafrika, Afrika, oder Niederbayern, whatever…alles, was nicht „modern“ im Sinne des Europäischen, oder Westlichen ist. Das ist die Farbe, die wir brauchen. Das ist das wahre Leben. Das sind unsere Roots, aber wir verdienen unser Geld als Influencer*in auf Youtube, oder als Model, oder als Pop-Musiker*in und haben das Glück, das ein Teil unserer Familie aus der ländlichen Region, einem Drittwelt-, oder Schwellenland kommt. Denn: das lässt sich jetzt richtig gut verkaufen.
Ich verkaufe hingegen gerne die Lüge an sich. Die Lüge, die sich seit dem 18. Jhd. durchsetzte – angefangen mit der Idealisierung des griechisch-römischen Kultur- und Kunstsegments. Dabei waren es nun tatsächlich die Nachfahren der ehemaligen germanischen, gallischen und keltischen Barbaren, nämlich die deutschen, französischen und englischen Wissenschaftler*innen und Antikenliebhaber*innen, die sich ihrerseits nun alles antike Römische und Griechische aneigneten, es teilweise verhunzten, oder aber ins unermessliche hochstilisierten, um daraus eine stumpfe Identitäre Masse an Ekklektizismen zu formen, die sich dann erst ab den 90er Jahren dieses Jahrhunderts mit Hilfe von gewissenhaften Wissenschaftler*innen schafften, sich zu emanzipieren und wieder organisch zu werden.
Genauso geschieht es nun mit all dem, was bisher als Abschaum galt: das musikalische, künstlerische und kulturelle Erbe der ländlichen Bevölkerung des Südens und des Ostens. Es wird jetzt richtig Hip und als „psychedelic“ bezeichnet. Psychedelic wahrscheinlich deswegen, weil das „weisse“ Bewusstsein nichts anderem als seiner eigene kulturellen Welt eine gewisse „Komplexität“ zutraut. Somit muss die Komplexität einer originären, bisher als minderwertig befundenen Kultur von Regionen, wie zum Beispiel Anatolien, dem Balkan, oder des Nahen Ostens, oder whatever aus einer urnatürlichen mystischen Psychedelik entstanden sein, denn eine rational erklärbare kulturgeschichtliche Entwicklung die durch die dortigen Menschen entstand, ist ja eigentlich gar nicht denkbar.
Diesem Gesinnungsdiktat ordnen sich nun leider alle unter. Auch die Menschen dieser Regionen selber – vor allem aber die, die in 3. oder 4. Generation im westen Leben und bisher wenig Nähe zu ihren „Roots“ (wie sie es selber nennen) hatten. Nun, da diese Form der Authentizität wieder Hip ist, begeben sie sich auf eine öffentlich zur Schau gestellten Reise zurück. Sie lernen türkisch, kurdisch, arabisch, etc. und singen Volkslieder in ihrem gebrochenen West-akzent. Es wird nun geplündert und exhibitionistisch zur Schau gestellt, was man nur an „Authentischem“ finden kann und somit werden neue Lügen erzeugt. Im Grunde werden pseudo-authentische Selbstbilder verkauft, die je nach Wunsch mit Attributen geschmückt werden. Die Lüge wird immer wieder neu erfunden.
Und genau die verkaufe ich! Denn das ist meiner Meinung nach Legitim. Also nicht das Authentische an sich, sonder die Lügen, den Kitsch, den Trash der seit Jahrhunderten zur Befriedigung der menschlichen Selbstsucht entstanden sind..
Deswegen lüge ich auch gerne über mich selbst. Die Frage über meine Herkunft, wird grundsätzlich immer mit einer unverschämten Lüge beantwortet. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob der oder die Fragende die gelogene Antwort schluckt oder nicht. Ich Lüge dabei so plump, unverfroren und schamlos, dass er/sie empört von dannen zieht und sich über meine mangelnde Authentitzität und Unehrlichkeit beschwert und schlecht über mich redet.
So muss das sein!
So gefällt mir das!
Irgendwann begegnet man sich hoffentlich wieder und erkennt, dass das Leben ein einziges Schauspiel ist und man seine Rolle und damit seine Identität immer selbst entwerfen kann – jeden Tag aufs neue.

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