Wen zum Teufel interessiert eigentlich das Bernsteinzimmer?

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Bernsteinzimmer

Jetzt stelle man sich mal vor, das Bernsteinzimmer würde gefunden werden. Irgendwo in Polen in einem bisher unentdeckt gebliebenen Nazibunker. Ich sag nur soviel: Preußenkönig Friedrich Wilhelm I hatte es dem Zaren Peter dem Großen 1716 geschenkt und die grießgrämigen Nazis haben es im Zarenpalast Zarskoye Selo 1941 wieder demontiert und zurück in die Heimat verfrachtet, wo die gesamte Ausstattung des Zimmers dann nach Kriegsende verloren ging.
Ich kann mich noch erinnern, als ich in den 90ern auf einer Exkursion in Russland die Gelegenheit hatte, den Zarenpalast zu besuchen und wirklich zutiefst in meiner deutschen Seele getroffen war, als ich diese billigen Imitate an den Wänden des Zimmers sah, das früher so prunkvoll ausgestattet war.
Wie weit das alles doch jetzt ist? Bernstein, König Friedrich, Zar Peter, die Nazis und der ganze Muckefuck? Bernstein ist ja wunderschön, aber eingebaut in diese riesigen Tafeln in so ein überladenes Barockensemble? Das sieht doch scheisse aus, ganz ehrlich, als ob das Zimmer mit Kacke und Gold eingeschmiert wär und zwischen drin so Büsten auf Sockeln und güldene Leuchten und so’n kram. Wer braucht denn den Schmarrn ganz ehrlich? Das wollt ich nur mal gesagt haben, auch wenn das gerade nicht viele interessiert. Wie bin ich jetzt drauf gekommen? Ach ja. Alle reden über Frauke Petry gerade, da dachte ich mir, ich mach mal ein anderes Fass auf. Is in die Hose gegangen ok.

Apropos Frauke Dingsda. Die hat ja jetzt in München im Hofbräukeller gesprochen und der Wirt wollte in letzter Minute absagen. Alle fanden den Wirt ganz toll, weil man ihm gleich Zivilcourage andichten wollte. Dabei war der alles andere als mutig. Mit Frauke und der AFD hat der wohl am geringsten Probleme gehabt, sonst hätte er ja Ende April nicht einen Vertrag mit denen unterzeichnet? Der hatte tatsächlich – nach eigener Aussage – Anst vor gewaltbereiten Gegendemonstranten! Das nur zur Info. Mehr will ich dazu nicht sagen, weil ich’s so richtig nebensächlich finde. Ich boykottiere den Laden schon seit langem und das rate ich auch sonst jedem/r.

Aber im Zuge der Promotour von Fraukelein gab es tatsächlich einen Vorfall in Landau, der mich wirklich überrascht hat, nachdem ich ja in einem meiner letzten Einträge, Landau als potentiellen Aufenthaltsort mindestens eines Sonderexemplares von niederbayerischen Hurensöhnen gedisst hatte (s. http://blog.triptown.de/?p=1241): Frauke hat also auch in Landau gesprochen und wurde tatsächlich mit frechen Anti-AFD-Flyern konfrontiert. Empört wandte sie sich vor ihrer Rede an die Hörerschaft im Saal und forderte die Urheber der Flugblätter auf, sich persönlich dazu zu äußern. Nach anfänglichem zögern, traten dann ein paar Schülerinnen und Schüler vor, erhielten von ihr das Mikrophon und ließen anscheinend Statements ab, die inhaltlich den geistigen Horizont von dear Frauke so sehr überforderten, dass sie die Jungs und Mädels kurzerhand von ihrer Security rausschmeissen liess. Also freue ich mich nun, berichten zu können, dass es in Landau mindestens 5 richtig coole arschtighte Kids gibt, die Grips in der Birne haben und das Herz am rechten Fleck! Big Up! (http://www.pnp.de/region_und_lokal/landkreis_dingolfing_landau/2074438_Petry-in-Niederbayern-Landauer-Schueler-bieten-AfD-Chefin-die-Stirn.html).

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40 Tage des Musa Dagh von Nuran David Calis im Residenztheater München 2016

Zu guter letzt möchte ich noch ein Theaterstück ansprechen, zu dessen Premiere im Residenztheater München ich mich befand: „Die 40 Tage des Musa Dagh“ – eine mutige Bühnenadaptation des gleichnamigen Romans von Franz Werfel aus dem Jahr 1932, inszeniert von Nuran David Calis, dem es erfreulicherweise weniger darum ging, die bedrückende und gleichzeitgig epische Geschichte in einem dramatischen Theatermarathon auf die Bühne zu bringen, als die tatsächlich relevanten Fragen, die uns heute – nach einem geschlagenen Jahrhundert – immer noch plagen und uns an ihren Antworten zweifeln lassen. Der Regisseur wagt trotzdem den müßigen Schritt und lässt seine Darstellerinnen und Darsteller sich zu eben diesen Antworten hinarbeiten. Was am Anfang die Befürchtung hochkommen lässt, in Wiederholungsschleifen von mühsamen Monologen auszuarten, die ewig und immer wieder auftauchenden Themen erneut aufzuwärmen und so dem eh schon niedergeschlagenen Gewissen des Besuchers aufzutischen, entpuppt sich durch einen genialen Geniestreich als eine Erleuchtung: die beiden Hauptprotagonisten sind tatsächlich armenischer () und türkischer Abstammung () und tatsächlich haben beide Familiengeschichten, die von ethnischer Repression und Verfolgung durch die jeweils andere Dominanzkultur geprägt sind.
Ismail Deniz stammt von einer Familie aus dem nordostanatolischen Erzurum. Seine Grosseltern wurden damals durch armenische Truppen, die sich mit den Russen solidarisierten, aus ihrem Dorf getrieben. Daron Yates stammt von einer armenischen Familie aus Anatolien ab, die ebenfalls – so wie viele – einer Verfolgung unterlegen ist. Durch das effektive Zusammenspiel von gut ausgewählten historischen Zitaten, die auch die Beteiligung der deutschen und alliierten Militärs und Politiker an diesem Völkermord deutlich machen und nachgespielten Szenen aus Werfels Buch – alles übrigens auch eindrucksvoll schauspielerisch gespielt und dargeboten durch die übrigen Darstellerinnen und Darsteller -, entfaltet sich ein Erzählstrang, der dem Zuschauer, nach all der Verwirrung der verschiedensten Perspektiven die Möglichkeit eröffnet, übergreifende Empathie zu spüren, ohne ihn nur in eine Deutungsformel einzuengen.
Nuran David Calis ist sich anscheinend der vielen verschiedenen Perspektiven auf dieses schwierige Thema bewusst und hat diese auch zutiefst verinnerlicht, was auch seiner eigenen türkisch-armenischen Biographie geschuldet sein mag. Mit diesem Stück schafft er es nun tatsächlich, durch Nutzung einer schlanken Datendurchsetzung und dem sparsamem Einsatz von pathetischer Dramatik, das wesentliche im tiefen inneren unseres menschlichen Wesens anzusprechen. Er beweist damit, dass uns nichts übrigbleibt, als mit all unserer Kreativität und Aufrichtigkeit immer wieder an diese schweren und erdrückenden Inhalte zu wagen, ja dass sich dies auch lohnt und dankbar aufgenommen wird, wenn man sich nur der richtigen Methoden bedient und sich die Freude am Erzählen nicht nehmen lässt. Die Karten sollen für die bisher ausgeschriebenen Vorstellungen schon Ausverkauft sein. Das schreit wohl nach weiteren Terminen?

Darstellerinnen und Darsteller:
Ismail Deniz
Friederike Ott
Michaela Steiger
Simon Werdelis
Daron Yates
Bijan Zamani

Regie: Nuran David Calis
Bühne: Irina Schicketanz
Kostüme: Amélie von Bülow
Musik: Vivan Bhatti
Licht: Uwe Grünewald
Dramaturgie: Angela Obst

Dran bleiben!

Afghanistan sah so schön aus früher.
Hast du die Bilder gesehen? Hat so ein Amerikaner geschossen wohl in den Sixties. Da haben die Frauen dort Miniröcke getragen?

Wahnsinn, hätt ich ja nie gedacht. Im Iran übrigens auch – mußte dir mal Bilder ansehen von damals, echt unglaublich.

Und in der Türkei auch. Unglaublich. Die sehen auch richtig nett aus die Leute auf den Fotos. Da denk ich mir fast, wie’s wohl wäre, wenn jetzt damals wäre und man dort Urlaub machen könnte?

Sogar in Tunesien, Marokko und Algerien sahen die Menschen viel fortschrittlicher und glücklicher aus, als jetzt.

Es gibt sogar Fotos von der Bin Laden Familie im Urlaub in Schweden oder so. Ja, die Familie von Osama Bin Laden. Alle sehen so fortschrittlich aus.

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Fort
Schritt
Fort
Schritt
Fort
Schritt

Und jetzt? Jetzt sind sie fortgeschritten.

Wohin sind die fortgeschritten? Ja, aber die sind ja ganz weit fortgeschritten von uns?
Und warum?
Wir sind doch so schön?

Interessant: mindestens ein Exemplar einer Sonderspezies der Bayern in Landau entdeckt!

Also hier lustige Geschichte:
Ihr kennt hoffentlich alle die Band „Unterbiberger Hofmusik„? Wenn nicht, dann würde ich sie euch gerne nahelegen. Diese bayerische Volksmusikcombo besteht in ihrem Kern aus der Familie Himpsl mit Papa, Mama, den drei Söhnen und im weiteren aus Musikern aus dem engeren Umkreis der Freunde der Familie.

Franz Himpsl, der Papa und Bandleader (so wie sich das bei richtigen Bayern gehört), ist seit längerem mein enger Freund. Franz interessiert sich schon seit langem für türkische Musik und lernt auch schon seit Jahren Türkisch. Natürlich haben die Unterbiberger auch eine große Bandbreite an türkischer Musik in ihrem Repertoire. Sie geben sich ausserordentlich Mühe mit dem Liedgut und spielen die Stücke mit viel Liebe und Herzblut. Das zeichnet sie aus. Dafür sind sie bekannt und haben auch schon so einige Preise eingeheimst.
Der Franz und ich, wir mailen des öfteren auf türkisch und bayrisch hin- und her. Ich lerne von ihm so einige bayrische Floskeln. Dafür Versorge ich ihn mit Grundkenntnissen im Türkischen. Dabei achten wir beide besonders auf Rechtschreibung, Satzbau und korrekte Inhalte, damit der effektive Lerneffekt möglichst gewahrt bleibt.
Jetzt habe ich aber letztens eine Mail von ihm erhalten, die mich ziemlich schockiert hat. Im Anhang der Mail befand sich die Abbildung eines mit Schreibmaschine verfassten Beschwerdebriefes eines „ehemaligen Fans“ der Unterbiberger (adressiert aus Landau), der sich darüber echauffierte, dass die Band diesmal bei einem Konzert in Landshut zu viele türkische Lieder gespielt habe. Das wäre nicht gut, denn wenn man sich in Bayern mal umhören würde, dann würde man ziemlich schnell merken, dass die Bayern die Türken gar nicht gerne mögen und dass er deswegen die Unterbiberger nicht mehr favorisiere, auf keine Konzerte mehr kommen werde und den Newsletter abbestellen werde.
Daraufhin dachte ich mir: „der arme Franz. Ich muß dem was Aufmunterndes schicken“ und ich verband diese Aufmunterungsaktion mit einem ausgeweiteten Türkischkurs. Ich fand, die Zeit war jetzt reif, um Franz mit den höheren Weihen der türkischen Sprache bekannt zu machen.
So schrieb ich folgende Zeilen in der Hoffnung, Franz würde sich an der Übersetzung einer etwas ausgefalleneren Textpassage erfreuen: „Aaaaa! çok ilginç bir keşif: demek ki Landau’da en az bir bavyeralı orospu çocuĝu varmış! Onu da Allahın izni ile Tayyip Erdoĝan siksin!„, was soviel heisst wie: „Aaaaah, sehr interessante Entdeckung! Es gibt also in Landau mindestens einen bayerischen Hurensohn! Den möge doch – so Gott will – Tayyip Erdoĝan ficken!
Natürlich war das nicht für die Öffentlichkeit gedacht, aber der Franz hat wohl – nachdem er die türkischen Zeilen leicht überflogen hatte – sich gedacht: „Ah das ist sicher ne coole Antwort vom Triptonious Coltrane und hat das Ding tatsächlich an seinen türkischsprachigen Mailverteiler weitergeleitet (mit meiner Namensangabe im Zitat).
Nun hängt ja mein Ruf in der seriösen türkischen Community eh schon tief genug. Da kann man sich gar nicht mehr vorstellen, wie weit derselbige dadurch noch weiter gesunken ist.
Aber Wurscht. Jetzt weiss mein lieber Franz zumindest, was Hurensohn und ficken auf türkisch heissen. Den Landauer Nuttenbengel hab ich schon bei der türkischen Botschaft denunziert. Dem wird das Maschinenschreiben vergehen, wenn erstmal Visafreiheit herrscht, mein lieber Schorli! Aber wer weiss: vielleicht kümmert sich ja in vorauseilender Sorge die Bundeskanzlerin persönlich um ihn?

Weitere empfehlenswerte bayrische Bands:
– Da Ding (http://www.da-ding.de)
– Koflgschroa (http://www.kofelgschroa.by)
– Zwoasta (http://www.zwoastoa.de/).

Das sind meine bayrischen Lieblingsbands momentan. Es gibt sicher auch mehr hörenswertes hierzulande, aber das sind halt auch meine Spezln, woast. Und des is auch wichtig.

Triptonious Coltrane

P.S.: Alle diskriminierenden Ausdrücke und Bezeichnungen in diesem Text sind allein im ironischen Zusammenhang zu sehen. Der Autor distanziert sich bis auf Weiteres von der einseitig-humorlosen Lesart derselben.

Ja ja deine Nation!

Bist du stolz auf deine Nation? Wie armselig bist du denn? Hallo! Deine Nation ist irrelevant. Auf jeden Fall irrelevanter als deine Nationalmannschaft. Ich weiss, das war mal anders. Aber die Zeiten sind schon lange vorbei…leider. Jetzt lässt sich die Bundeskanzlerin von sonem dahergelaufenen Erdogan an der Nase rumführen.
Naja. Fakt ist, dass heutzutage sogar der Irak nationale Grenzen besitzt. Ja, der Irak ist eine Nation mit Nationalfahne und Nationalhymne!
Ich finde ja: je mehr gerade Linien und rechte Winkel den Verlauf der Grenzen eines Landes prägen, desto interessanter die Entstehungsgeschichte. Da tauchen dann so Gestalten auf wie: Gertrude Bell, T. C. Lawrence, Mark Sykes, François Georges-Picot, Max von Oppenheim etc. Dann liest man sich so ein bisschen ein und muss sich schon wundern über diese Typen da im Nahen Osten. Was wollen die eigentlich?
The West rules! Und das war schon immer so. Das sollten die endlich mal einsehen. Wir haben deren Grenzen gezogen, sie in Kriege verwickelt und ihre Nationalökonomien in Abhängigkeiten gebracht. Wir haben die nach Strich und Faden ausgenommen. Das ist harte Arbeit.
Und was machen die jetzt, wo wir gerade mal unsere wohlverdiente Ruhe genießen wollen? Die hauen jetzt einfach dort ab und meinen, sie könnten mitsamt ihrer lausigen Kultur einfach hierherkommen, Parties feiern mit so schrecklichen Namen wie „Eksotik Meksotik„, wo Raki und Ouzo in Strömen fliessen. Dann bringen sie auch noch leckere selbstgemachte Vorspeisen mit, spielen ihre Musik live und tolle Dj’s gibt’s da auch noch. Aber vor allem diese Musik! Schlimm. Echt Schlimm. Da kommt man ja nie zur Ruhe!
Und die posten das auch noch auf Facebook. Schaut euch das mal an. Denen geht’s richtig gut: https://www.facebook.com/events/840467762731409/?active_tab=posts

Der Meisterakrobat von Panama

Er stand inmitten seines geräumigen Büros. Die Telefone surrten und bimmelten. Keiner war sonst da, er hatte alle Mitarbeiterinnen und Angestellten hinausgeschickt, und ihnen gesagt, sie sollen eine kleine ausserplanmässige Pause einlegen, sich für eine halbe Stunde in irgendeines dieser kleinen schicken Businesslounge-Cafés setzen. Er konnte ihre Blicke nicht mehr ertragen, ihre besorgten Blicke, ihre kurzen Atemstösse, ihr Ächzen und Schnaufen.

Nur kurz alleine sein. Ganz kurz nur. Das war alles, was er sich gewünscht hatte. Er klammerte sich an diesen Moment im vollen Bewusstsein, dass eine solche Stille in den nächsten Tagen und Wochen nur selten wiederkehren würde.

Da stand er nun in seinem gewöhnlich schicken Anzug und wunderte sich nur. Seit Jahren betrieb er jetzt schon dieses Geschäft. Für ihn war es reine Routine. Aber seit ein paar Tagen war sein Leben völlig auf den Kopf gestellt. Der Tag donnerte dahin wie ein Tsunami und schien alles mit sich zu reissen. Er spürte förmlich den Druck der Ereignisse auf seiner Haut. Der Stoff seines Hemdes zerknitterte darunter. Sein Körper war schweissnass. Klebriger, kalter Schweiss rann an seinem Oberkörper entlang. Sammelte sich in Falten und Ritzen seiner Haut, sammelte sich und vereinzelt schossen die eisigen Tropfen weiter. Sie fühlten sich an wie winzige Murmeln, die ihn für einen Bruchteil der Sekunde zusammenzucken liessen.

Sein Büro ist zur Hölle geworden. Die Mittelsmänner des FBI, die Sonderkommission, Staatanwälte, Polizisten, Journalisten. Ständig klingelte es. Er traute sich gar nicht mehr den Computer einzuschalten. Wie ein getriebenes wildes Tier im Käfig lief er hin und her, zwischen der getönten Glasscheibe mit Ausblick auf die Panoramaterrasse und seinem ausladenden, gewundenen massiven Bürotisch aus edlem dunklen Tropenholz.

Es fühlte sich komisch an. So als ob er zusammen mit dutzenden anderen Akrobaten auf dem Trapez zugange gewesen wäre und plötzlich gerade die Halterung riss, die sein Arbeitsgerät an der Decke des Zeltes verankert hielt.

Die bittere Gewissheit tritt wohl Blitzschnell ein in einem solchen Moment? In Sekundenbruchteilen nahm er die erschreckenden starren Blicke seiner Kolleginnen und Kollegen wahr, Sie schienen alle etwas zu wissen, was er nicht wusste. Sie wohnten seinem Fall mit erstaunlich eisig kalten Blicken bei. Vorahnung, Wissen und Ensetzen spiegelten sich in ihnen wieder. Dumpf prallte er mit dem Rücken auf den Zirkusboden. Etwas knackte an seinem Hinterkopf. Das Geräusch weckte Ekel in ihm. Noch spürte er keinen Schmerz. Nur Entsetzen. Wie oft hatte ihm die Vorstellung an diesen Moment schon den Schlaf geraubt? Wie oft war er schon aus wirren Träumen aufgefahren? Jetzt wurde der Schrecken wahr.

Für einen kleinen Moment stand die Stille im Raum wie Betonblock. Dann die Schreie und das Chaos. Der Zirkusdirektor warf seine Peitsche in hohem Bogen auf den Boden, liess einen laut hallenden Schrei von sich und sprang mit ausfallenden Schritten an die Unfallstelle. Seine Brust bebte auf und ab, während er sich mit herabfallenden Haarsträhnen und wildem Blick über den Akrobaten beugte. Staub wirbelte hoch. Kurz bevor das Bild in seinen Augen verschwamm, erkannte der Akrobat den abgebrühten Blick in diesem Gesicht, dass ihm bisher so vertraut gewesen war. Er kannte jede Pore und er spürte tiefe Verleumdung und Verrat in den letzten Momenten, an denen gleichzeitig sein ganzes Leben vor ihm vorbeitänzelte, wie ein zu schnell abgespulter Stummfilm.

Er spürte Meuchelei. Es war, als ob sein Leib in Schauder buchstäblich erfror. Sein Atem stockte. Es ging alles so schnell. Ein Kopf nach dem anderen streckte sich über ihn und verdunkelte seine Umgebung. Einer nach dem anderem wölbten sie sich über ihn, die Lichter der grellen Scheinwerfer bedeckend, die ihn ein letztes mal noch blendeten, bevor endgültig die Dunkelheit über sein Bewusstsein einbrach.

panama

Der Kanal

Alle haben es gewusst. Dieses Trapez hat seit Jahren gehalten und funktioniert und die Stabilität der Hängekonstruktionen im Zelt war ihnen allen heilig! Sie wurden regelmässig kontrolliert. Eigentlich täglich! Jeder wusste das genau: wenn ein Unfall passiert, dann ist es kein Unglück. Einer der Akrobaten wurde geopfert. In diesem Falle war er es.

Er zuckte jäh auf aus seinem sekundenbruchteile währenden Tagtraum. Es war ein Alptraum und die Zeit war wie eine dicke Schicht, die zwischen ihm und seinem Bewusstsein stand. All seine Kunden. Er konnte nicht einmal ansatzweise absehen, welche Daten schon in die Hände dieser Aasgeier gefallen waren. Die Angaben von Terrabyte-Zahlen hallten in seinem Kopf wieder. Panik wechselte sich ab mit der Ruhe der verzweifelten Gewissheit vom unumgänglichen Ende.

Das Ende. Es war jetzt zum greifen nahe. „Jetzt nur die Nerven behalten. Nerven behalten, wofür? Alles war nun verloren“! Alles, was er sich aufgebaut hatte in all den Jahren, seit der Krise der New Economy, damals zur Jahrtausendwende. Sein Kopf knickte nach vorne über die Brust. Die Arme hingen an seinem Körper herab wie Tauwerk an einem Frachtschiff im Verladebecken.

„Dementieren, dementieren. Ich werde alles dementieren. Diese dreckigen Schweinehunde. Dieses Hurenpack!“ zischte er und erschrak vor seiner eigenen Stimme, die klang wie von verblutendem Schlachtvieh. „Sie haben mich ausgenommen und abgeliefert! Aber wie kann das sein? Die wissen doch, dass ich auch alles weiss? Also muss das eine grosse, eine sehr grosse Nummer sein! Eine verdammt grosse Nummer. Verdammte Scheisse. Verflucht nochmal!“ Er donnerte mit dem Handballen gegen die Wand. Presste die Stirn gegen sie und spürte, wie sein Leib schwerer wurde und ihm die Tränen kamen: „Sie lassen tatsächlich alle fallen. Alle werden fallen! Das ist unglaublich….“

Die Verzweiflung überkam ihn und er trat an die Glasfront seines Büros, das sich im obersten Stockwerk eines geschwungen und elegant sich in die Höhe windenden Wolkenkratzers befand, weit oben an der Anhöhe mit einem Rundumblick über die Mündung des Kanals, das Delta, das Meer und mit der gleissenden Sonne, die die Glassfassaden der monumentalen Businesstowers smaragdfarben zum glitzern brachte. Er trat hinaus auf die Terrasse, denn er konnte nicht einmal das gedämpfte dunkeltürkise Licht der getönten Scheiben ertragen, dass er sonst so genossen hatte, besonders an den Abenden, an denen er dann mit genüssliche eine edle Havanna rauchend in die Glut der Sonne starrte und ihm sein Tageserfolg durch den Kopf ging.

Er brauchte Licht und vor allem Luft!  Wie schön es doch wehte hier oben? Seitdem er hier eingezogen war, vor knapp 6 Jahren, war er vielleicht ein oder zweimal hier hinausgetreten. Eine Schande! Nun wünschte er sich, er hätte es öfter getan. Diesen Anblick würde er bald…sehr bald sehr vermissen.

Er lockerte die Krawatte, während er an das Geländer trat. Weit unten hörte er das Meeresrauschen, das in das sanfte Summen des Windes überging. Er hörte die Telefone läuten und summen. Wie anders das doch jetzt klang, wie bedrohlich, wie unangenehm? Er war einer der besten seines Fachs gewesen und die alltäglichen Bürogeräusche, die bisher wie eine fein komponierte Untermalung seines Erfolges klangen, hämmerten nun grausam auf ihn ein, schlimmer als dieser entsetzliche Noiserock, den seine Kinder von früh bis spät hörten. Er musste vor ihnen fliehen, weit hinaus auf das Meer würde er jetzt gerne schwimmen. Wenn er nur frei wäre. Frei wie eine dieser Möwen, die ab und an krächzend um das Gebäude schwebten. Er würde bis zum Horizont fliegen und mit den Walen um die Wette eifern. Er war ein Meisterakrobat gewesen. Er hatte an die Konstruktion geglaubt. Er war einst der Garant ihrer Stabilität. Er hatte mit Millarden jongliert und hunderte Konten gleichzeitig für all seine Kunden verwaltet. Er war der Star des Offhore-Geschäfts und steuerte hunderte von Breifkastenfirmenbossen, die am Fliessband Deals unterschrieben. Er wusste genau, was das für Geschäfte waren und er wusste genau, dass es sehr schwer war, die Wege der Transaktionen und die komplexen Zusammenhänge der Geschäftsverhältnisse nachzuvollziehen. Hallo! Er wusste genau, wer ihm dieses Imperium ermöglicht hatte. Eigentlich war es ein bombensicheres Geschäft. Und jetzt sollte er fallen? Wenn er fiel, dann würden viele andere mitfallen und das sind nicht irgendwelche kleinen Banker an der Wallstreet und in London. Es sind grosse Namen. Das nimmt doch keiner in kauf? Es sei denn: irgendwelche Bastarde, denen er es nie und nimmer zugetraut hatte, nahmen sich vor, die Welt neu zu ordnen.

„Diese verdammten schmierigen Schurken! Sie haben mich das System mit aufbauen lassen und mit mir meinen Erfolg gefeiert. Sie haben mich angeheizt, mir Preise verliehen und mich hochdekoriert. Nun ziehen sie mir an einem Tag plötzlich den Boden unter den Füssen weg, oder noch besser gesagt: reissen die Zeltdecke über mir auf“, dachte er. Es war ja klar, dass die Zeiten sich ändern würden, aber warum denn gerade er? Wie hatte er das denn nicht kommen sehen können? Er war doch der beste gewesen!

Aber vielleicht war das ja der Grund? Der beste hatte am meisten vorzuweisen und am meisten zu bieten. So wie es scheint, wollen sie die Konstruktion komplett umkrempeln. Das bedeutet: es gibt eine neue Generation von Hyänen, die zur Übernahme der Beute bereit stehen. Er starrte hinab in die Strassenschlucht, so als ob er sie suchen würde mit seinen Blicken. Als ob er ihnen noch einmal in die Augen blicken wollte. Denen, die ihm nun alles wegnehmen würden. Alles. Sein ein und alles würden sie ihm nun aus der Hand reissen.

Es war klar: Um die Konstruktion komplett umzukrempeln, brauchten sie seinen stabilsten Träger!

„Diese Hundesöhne“, dachte er….“diese undankbaren Hundesöhne“.

 

Gott ist Tanz und umgekehrt!

Ein Tanzverbot ist nicht nur die Bevormundung des Individuums, sondern auch noch eine sehr schädliche Konditionierung. denn es reduziert den Tanz auf reinen Hedonismus und zu einer Art respektloser Handlung den Leidenden, den Toten, heiligen Wesen, oder gar Gott gegenüber.

Die Wahrheit ist: Tanz ist seit Menschengedenken eine der Grundelemente der menschlichen Spiritualität und somit auch ein Teil der Grundlage von Religion (welche meiner Meinung nach nichts anderes ist als zu Ideologie verkommene Spiritualität).

Ja! Tanz kann bewusstloser Hedonismus sein, aber das ist nur einer von vielen Aspekten des Tanzes! Tanz ist jedoch vor allem ein komplexer Vorgang, der es Menschen ermöglicht, eins mit ihrer Seele und ihrem inneren Wesen, somit aber auch mit dem Göttlichen zu werden.

Tanzen zu verbieten, ist eine Entfremdung vom eigenen spirituellen inneren Wesen. Tanzen zu verbieten ist eine böse Handlung, denn sie zielt darauf hinaus eine natürlich notwendige menschliche Kommunikation und Transzendenz einzuschränken.

Tanzen zu verbieten ist im Grunde die Verleumdung des Göttlichen. Dieses Verbot kann nur von Religionsvertretern geäußert werden. denn Religionen sind Machtapparate, die versuchen, die Einsicht von der menschlichen Unzulänglichkeit so weit als möglich erträglich zu machen, indem sie den Menschen mit solchen Faktoren wie „Machtpolitik“, „Geldwirtschaft“ vom wesentlichen ablenkt. Im Grunde sind Religionen Verwaltungssysteme für das vermeintlich „Schlechte und Böse“ im Menschen. Kann sein, dass das auch notwendig ist, aber es kann nicht der Kern unserer Existenz sein, uns ständig für etwas böses schuldig zu fühlen, oder andere zu beschuldigen. Ganz im Gegenteil.

Dazu John Lennon: „God is a concept, by which we measure our pain“.

Tanzen zu verbieten bedeutet: das menschliche zu entwürdigen und sich selbst zu negieren, in dem man als Mensch sich nämlich anmaßt, zu wissen, was gottgefällig sei!

Das jedoch werden wir nie wissen, denn alle Bücher dieser Erde sind von uns selbst geschrieben und Gott ist ein von uns erschaffenes Fabelwesen, ein Ettikett, mit dem wir unsere perversen Machtansprüche legitimieren.

Das wahrhaft Göttliche können wir nur in sehr besonderen Momenten vielleicht im kleinsten Ansatz erfahren, aber wir werden es nie und nimmer begreifen. Es liegt nicht in unserem Ermessen. Dazu sind wir zu klein und unwichtig.

Es in einem Buch niederzulegen, um seine eigene kleinkarierten weltlichen Machtanpsruch zu manifestieren und auch noch zu behaupten, es wäre von einem gewissen „Gott“ gesandt worden, zusätzlich auch noch Menschen zu ächten, die sich dieser Theorie gegenüber kritisch äußern, ist – schlicht und ergreifend – reine Anmaßung und Hybris.

Und die haben wir – so wie jede unserer Handlungen – unserem Gewissen gegenüber selber zu verantworten. Der Beichtstuhl ist nur die Bühne für die Inszenierung unserer inneren Abgründe.

Wenn es ein göttliches Wesen gibt, dann nur deswegen, weil wir Teil davon sind.

Alles ist Bestandteil des Göttlichen! somit unter anderem auch das Individuum! die Menschheit ist im Gegenzug dazu ein kleines Nichts. Also hört auf euch anzumaßen, ihr könntet in ein paar Konzilien festlegen, was Gott wann und wo gerne wie gehandhabt haben wollen würde.

Gott ist Tanz! Deswegen: wenn du dem göttlichen Nahe sein willst, dann tanze!

Euer Zauberwort: Intergration

Integration ist das Traumgebilde einer sturen Mehrheitsgesellschaft.
Ein Mittelfinger für die Integration!
Eine Gesellschaft, die die Integration von vermeintlich aussenstehenden in seine eigene Strukturen erwartet, muss schon sehr hochmütig von ihrer perfekten Infrastruktur und stabilität überzeugt sein. Dass diese völlig unzureichend ist, sehen wir gerade. Deswegen: lasst uns mal an neuen gemeinsamen Strukturen bauen, statt sich auf einseitig definierte zu verlassen!

Völker hätten theoritisch Ansprüche auf Nationen, aber da es weder Völker, noch Volkskulturen, noch Nationen gibt, erübrigt sich ein solch gearteter Anspruch komplett.
Auf national-völkischer Basis sich legitimierende Mehrheitskulturen sind künstliche Konstrukte, die sich so lange von ihrem Staatsmythos tragen lassen, bis sie der nächsten Revolution erliegen. Danach sind sie meist Geschichte. Insofern wirkt die Romantisierung solcher kulturellen Anspruchsräume immer recht albern. Zu viel von dieser Albernheit kann jedoch schnell zu existentiellem intellektuellen Unterdruck führen, wie man gerade am Beispiel von Pegida, NPD und AFD sehen kann. Aber sogar Vertreterinnen und Vertreter der alten Garde der Sozialdemokraten und der gemässigten Konservativen warten durchaus mal mit realsatirischen Selbstmordattentaten auf. Beispiele will ich der/dem geneigten Leserin/Leser ersparen. Dem Hirnfick ist man eh ständig ausgesetzt.

Ich habe mich Zeit meines Lebens jeglichen Formen der Integration in eine irgendwie geartete mehrheitsgesellschaftliche kulturelle Ordnung verweigert. Nicht nur in Deutschland!

Ich glaube nicht an Integration. Vielmehr glaube ich, dass dieser Begriff eine sehr einseitige Laufrichtung in sich birgt und deswegen eigentlich schon immer obsolet war. Es gibt keine stabile kulturelle Einheit und auch keine in diese zu integrierende einheiltich fremde Gesinnungsform.

Deswegen erschöpfen sich die Handlungsmuster der voneinander säuberlich durch Status und kulturelle Selbstsuggestion gefangenen Gesellschaftsgruppen in stereotypen Haltungen. Die einen helfen und integrieren aus einer überlegenen Sondstellung heraus. Ihre Institutionen, Genossenschaften und Vereine werden vorwiegend dominiert von Vertretern der „weissen“ Mehrheitsgesellschaft. Sie laden grossmütig ein und ziehen somit den Groll der rechtsextremen und rechtskonservativen Gesellschaftsgruppen auf sich. Diese hingegen wollen die Grenzen gleich ganz dicht machen und auf jeden schiessen lassen, der sich ihr „illegalerweise“ nähert.

Dabei ist seit Darwin eigentlich klar, dass die flexibelsten Strukturen am längsten überleben, aber auch in kauf nehmen müssen, nie allzulange gleich zu bleiben. Im Grunde ist jede Gesellschaftsstruktur flexibel, stets im Wandel und plural aufgebaut. Oder sieht irgendjemand auf dieser Welt eine Gesellschaft, die sich nie verändert und in ihrer Konsistenz immer gleich bleibt?

Das, was vielen immer noch sehr schwer fällt, ist es anscheinend, dies zu akzeptieren. Stattdessen stützt sich unser Unterbewusstsein stets auf die subtilen Statussicherheiten der Mehrheitskultur. Auch bei denen, die ihre liberale Haltung stets beteuern, ist das so. Die Diskrepanz zwischen Bewusstem und Unterbewusstem wird da oft unterschätzt.

Es gab Zeiten, da haben in diesem Land migrantische Institutionen fast täglich lauthals Integration, Wahlrecht, Mitsprache eingefordert. Das war in den 70ern und ging bis in die Mitte der 80’er. Damals wäre die „Integration“ als Zwischenstufe durchaus möglich gewesen und auch nur in dieser Form legitim einforderbar.

Nach der endgültigen Durchsetzung der neoliberalen Ordnung unter Reagan, Kohl, Thatcher und Co. jedoch waren diese Forderungen (die im übrigen vom Etablissement der Mehrheitsgesellschaft nie wirklich ernst genommen wurden) ersteinmal vergessen. Europa war erstmal damit beschäftigt, kapitalistische Strukturen zu schaffen und Kohle zu schäffeln.

Die sozialen und gesellschaftlichen Probleme, die Entfremdung, die aus diesem Kommunikationsbruch erwuchsen gärten lange vor sich hin, bis die Spannung kaum zu ertragen war.

Das ist der soziale Brennstoff, den man sich seit Ende der 80’er teilweise bewusst, aber auch oft unbewusst hergezüchtet hat. Daraus resultiert nun das gefundene Material für politische Agitation! Das heisst, soziale Spannungen dienten bis vor kurzem als Steinbruch für die politische Propaganda von den Konservativen Kräften in den etablierten Parteien, die sich für sehr klug und geschickt hielten und sie genau zu diesem Zwecke schön auf Halde liegen liessen. Nun erzeugen diese jedoch Abfallsubstanzen, die sich am Grund ansammeln – so ähnlich wie gefährliche Gasblasen in grossen Müllhalden.

Dies bedeutet: das politische Kapital der konservativen Schichten innerhalb der etablierten Volksparteien wandelt sich nun zu gefährlichem Sprengstoff, der in seiner Durchschlagskraft extremeren politischen Gruppierungen als Brandbeschleuniger dient. Ich will damit sagen, dass diese konservativen Schichten in der Mitte der Gesellschaft schon seit langem den Nährboden gezüchtet haben, auf dem sich nun die Afd austobt.

Die Integration hat nicht versagt, sondern ist nur als Forderung der benachteiligten Minderheitenschichten temporär nützlich gewesen, war aber als langfristige Pseudolösung, wie sie durch eine neokonserative Elite im imperativ eingefordert wurde und wird, nie der richtige Ansatz.

Die Laufrichtung darf nicht ständig von Ost nach West führen. Die Menschheit muss eher zusammenkommen in der Mitte gesellschaft. Die rechten Kräfte müssen wieder dahin gedrängt werden, wo sie hingehören: an den Rand. Stattdessen muss die bürgerliche Mitte durch die Vielfalt besiedelt und erweitert werden.

Welchen Begriff man für diesen Prozess dann wählt, ist mir eigentlich ziemlich schnuppe.

Triptonious Coltrane

Serie: Widerstand – 2. Innenleben

Der Moment.
Wenn die Luft vibriert wie ein lebender Organismus,
das Gewissen in der Kehle pocht
und die Gewissheit schwer ins Bewußtsein plumpst,

wie damals, als man den ersten Stein seines Lebens
ins Wasser warf
und er sich in Luftblasen wiegend
schwer und ewig auf den Grund senkte.

Der Moment,
Wenn man Auge in Auge, Nase an Nase und naiv,
mit der milchgesichtigen Vorhut der Macht diskutiert
über Sinn und Unsinn,
während im Hintergrund die Mörder unheilvoll rumoren.

Wenn man dann laut, aufrecht und mit offener Stirn
gegen die Laufrichtung der Uniformen rennt,
durch die Menschen, die in ihnen stecken,
bis ganz weit hinein zu den Vorgesetzten.

wenn sich der Mund öffnet,
von Zorn getrieben und von Musen gesegnet,
Blicke und Worte Manifest werden
und die Stimme heiser.

Wenn der Hochmut an einem abperlt, wie Regenwasser,
Gefälligkeit, Kalkül, Diplomatie und Falschheit erstarren.
Entrüstung für die einen,
für die anderen die einzig mögliche Lebensform.

Der Moment des Triumphes,
wenn man schneller ist,
berechtigter, entschlossener,
humorvoller, klüger,
aber auch wahrhaftiger, herzlicher, liebender.

Dann kommt der Moment,
wenn die ersten sterben,
in unendlich laufenden Bilderschleifen,
begraben unter Lawinen aus Kameras und Mikrofonen.

Wenn Freunde noch kurz vor der Feindschaft
ein letztes mal vereint sind in einem leidenschaftlichen Aufschrei,
eben genau dieselben, die sich bald nicht mehr gekannt haben wollen werden,
enttäuscht, verkauft, gebrochen.

Und der Moment,
wenn nach lodernder Hoffnung und unendlichem Schmerz
mal wieder alles vorbei zu sein scheint
und man weder weiss, ob man auf dem richtigen Schlachtfeld,
noch, ob man auf der richtigen Seite gestanden ist.

Und dann natürlich der heiligste aber auch unehrenhafteste aller Momente,
nämlich der des Wartens.
Gemütliches Sonntagsfrühstück.
Aha! Stellengesuch vom nationalen Geheimdienst in der Zeitung.

Der Gärprozess Deutschland

Die Grenzen der Wahrnehmung sind natürlich der Standard.
Aber das Ziel ist die permanente Überschreitung der selbigen.
Die Ästhetik der Dekadenz tanzt wild und unruhig über Breitwände,
im Wettstreit mit dem Leid der Welt.

Es ist wieder nur eine Epoche, ein Irrtum, ein Selbstverständnis und mitnichten ewig.
Wieder wird alles vergessen, was war – der Innovation willen.
Die Enttäuschungen reifen heran und die Hoffnungen gehören wieder der Jugend.
Kalaschnikofs, Sprenggürtel, Bärte, Suren, und Schlachtrufe in heiserem Deutsch.

Tausende toben in „Horden“ auf den Strassen.
Lüstern, unbeherrscht, verkommen.
Klebrig die grapschenden Hände, dunkel die Blicke,
dunkel, fremd, drohend auch die Haut.

Dunkel ist auch dieses Land.
Die Nächte wecken eine seltsame Nostalgie,
nach einer Vergangenheit, die niemals sein darf.
Deswegen sind Winternächte in Berlin zum Beispiel seltsam wirklich.

Jetzt stürzen sie sich wieder erregt auf ihre Mobilfunktelefone
um extralange Kurznachrichten zu verfassen
im Zweifingersystem.
Empörungen jagen im Binärcode durch den Äther

Etagenweise wird verzweifelt und schnell gelacht.
Dazu hat man die Zeit, es geht schliesslich ums Konzept. Das ist der Job.
Für die Ausführung gibt’s erstmal Algorithmen und die 3D-Druckertechnologie.
Aber die ist leider noch nicht soweit.

Weisse Körper schälen sich dünnhäutig – fast transparent –
aus durchnummerierten Sesseln.
Wie schlüpfende Mückenlarven wirken sie, jedoch sind sie steinalt.
Sie haben sich eingenistet in den öffentlichen Tempeln
und halten die feinen Nasen ständig witternd in die Luft.

Biologen würden sagen: sie verteidigen ihr Revier.
Kommt man näher, sieht man Schneidezähne in zerfurchten Grimassen,
umrahmt von billigem Schmuck und wachen Blicken.
Urplötzlich können sie angreifen.

So zum Beispiel einen iranischen Cembalospieler in der Philharmonie.
Dann bellt und heult die Brut zunächst, wie Wölfe oder Hunde es tun.
Auf ein unscheinbares Zeichen stürzen sie ungeahnt los
und reissen ihre Mäuler auf, in der Hoffnung auf dicke blutige Happen.

Seit neuestem aber bleibt ihr Blutdurst ungestillt.
Die Opfer sind keine Opfer mehr
und tönen schrill in sturer Nonchallance und in herabwürdigendem Akademikerenglisch.
Nur der Pöbel draussen auf der Strasse holt sich wie gewohnt noch seinen Zoll.

In den Sitzreihen der Tempel jedoch,
bleibt lediglich die Trauer um die eigene Fruchtbarkeit
und die Sehnsucht nach einer Vergangenheit,
die niemals sein darf.