Gastbeitrag von Peter Arun Pfaff
Was bisher geschah:
2001, 9/11, das war ein Einschnitt, aber Islamophobie und Antisemitismus gab es schon vorher in good old Europe.
Die Finanzkrise 2008 hat uns im globalen Norden lange nicht so hart getroffen wie im Süden.
2011 sind wir sieben Milliarden Menschen, 11 Jahre später acht. Prima Klima und und und….
Apokalypse am laufenden Band. Alles wie gewohnt. Die neoliberale Herrschaftsklasse mag das auch so. Sie liebt es, eine Krise nach der anderen „zu bewältigen“. Es ist ein universelles Herrschaftsmittel.
Doch die Frage ist: auf wessen Kosten? Wer zahlt die Rechnung? Gibt es jetzt endlich eine bedarfsgerechte Verteilung? Auf keinen Fall! Die Verteilung des gesellschaftlich erwirtschafteten, gemeinsamen Wohlstands kommt den immerhin schon reichen immer stärker zu Gute. Nennen wir sie „Oligarchen“. Die gibt es mittlerweile überall auf der Welt, auch im Silicon Valley. Doch was uns jetzt ins Haus steht, toppt alles, was man in den vergangen zweieinhalb Jahrzehnten aufgetischt bekommen hat: Happy Birthday Mr. President!
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Doch zurück nach Schland: Seit 6 Jahren Krise auf Krise ist nun in Deutschland ein Konsens demokratischer Kräfte gegen den Faschismus endgültig gefallen: die sogenannte „Brandmauer“. Die Parlamentarische Zusammenarbeit demokratischer Parteien mit der AfD – einer chauvinistischen Partei, die von schizophrenen Phantasien eines reinen Volkskörpers getrieben ist – zeichnet sich ab. Und das geschieht in Deutschland, dem europäischen Land, dass am meisten von Zuzug innerhalb EU und der Globalisierung profitiert hat. Wo bleibt ein minimales Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge und die Geschichte Deutschlands, insbesondere bei den christlichen Populist:innen? Dieses Land ist schließlich allerspätestens seit der industriellen Revolution ein Einwanderungsland: Erst die Pol:innen im 19. Jhd., dann die Kriegsgefangenen der beiden Weltkriege und dann endlich – in “zivilisierter” Form – die Arbeitsmigrant:innen des Wirtschaftswunders. Viele Menschen aus vielen Ländern: sie alle wurden im 20. Jhd. schließlich Teil einer nach 2 Weltkriegen stark dezimierten, geschwächten deutschen Gesellschaft. Die Neuen Bewohner:innen sorgten dafür, dass Deutschland im Wohlstand wachsen konnte.
Jetzt aber lautet es: Alle wieder raus! Auch die Pass-Deutschen! Dann wird alles schon von alleine wieder gut. Deutschland wird endlich wieder „Groß“ und „Reich“, so das populistische Versprechen auf Tik-Tok.
Die kollektive Wahrnehmung einer gescheiterten Integration von Menschen aus hier vermeintlich fremden „Kulturkreisen“ ist vor allem der Ingoranz der Mehrheitsgesellschaft geschuldet. Sie ist auch das Resultat einer überheblichen Empathielosigkeit gegenüber der ausgegrenzten und stigmatisierten neuen gesellschaftlichen Vielfalt.
Doch wo stehen wir heute? Die global vernetzte Zivilgesellschaft wird in einer post-faktischen, durch soziale Medien getriebenen Zeit von verschiedensten Seiten angegriffen. Ob es nun islamist:nnen oder Deutschnationale sind: Rechtsradikale gibt es überall und Ihre Macht muss überall bekämpft werden. Dazu braucht es Kraft, Willen und Organisation. Doch Angst und Agonie scheinen für viele jedes Bild einer besseren Zukunft zu vernebeln.
Besonders junge Menschen, die in der Pandemie ihr Erwachsenwerden erlebten. Viele sehen sich heute in einer Welt, die überall in Brand zu stehen scheint. Sind wir nicht bereits im hybriden Krieg mit dem altrussischen Möchtegern-Imperium? Ist uns das Schicksal aller Menschen im Nahen Osten, die zynisch von Ihren Regierungen ausgenutzt werden egal? Alle verdienen es, in einer friedvollen, diversen Zivilgesellschaft zu leben. Wir hier im Westen scheinen es ja noch relativ gut zu haben, aber Selbstzufriedenheit und Hedonismus alleine hilft auf Dauer nicht.
Es geht um eine viel grundsätzlichere Frage: Was kann ich als Individuum in dieser Welt eigentlich noch tun? Ist alles umsonst? Ist die sozial verantwortliche diverse Zivilgesellschaft, in der auch die Schwachen Schutz, Freiheit und Menschenwürde genießen nur ein Restbestand des längst vergangenen 20. Jahrhunderts? Sind das die neuen Zeiten? Entscheidet alleine die Macht der Stärkeren über unsere Zukunft? Ist das Anwachsen einer neuen weltweiten Sklavenklasse unausweichlich? Ist also kurz gesagt ALLES UMSONST ?
NEIN! Es gibt in allem Nebel durchaus positive Perspektiven, auch wenn es oft viele kleine Aktionen in den Communities sind, die Hoffnung geben. Es braucht nicht immer den großen Wurf, mit dem man alles auf einmal richtig macht.
Hier eine Idee, um aus der Agonie zu kommen: Lasst uns lernen mit einem Auge durch ein Teleskop in die ganze Welt zu schauen und mit dem anderen durch ein Mikroskop in die eigene Lebenswelt. Dabei sind wir nicht alleine! Um uns befinden sich Menschen, mit denen wir die Welt als Wirklichkeit teilen: in meiner Familie, meinem Betrieb oder meiner Stadt. Als miteinander Kommunizierende, zusammen Planende und vielleicht sogar entschlossen Handelnde sind wir der stärkste Teil dessen, was man als „Souverän“ bezeichnet. Das macht eine wirkliche und nicht nur repräsentative Demokratie des 21. Jhd‘s aus!
Demokratie ist mehr als wählen! Demokratie sind wir!
Politik ist Leben, Leben ist Politik! Kunst ist Leben, Leben ist Kunst!
Eine sich emanzipatorisch entwickelnde Zivilgesellschaft ist voll innerer Widersprüche und Vielfalt – damit muss jede:r lernen um zu gehen, vor allem die homogene Mehrheitsgesellschaft. Dies bringt uns hoffentlich in eine Zukunft, in der alle Gruppen der Gesellschaft frei von Angst leben können. Dafür lohnt es sich zu kämpfen!
Lasst uns als Kulturschaffende, Künstler:innen, Musiker:innen aber vor allen zusammen lebende Menschen die Zukunft nicht den Falschen überlassen! Lasst uns nicht einfach aufgeben, weil wir der Krisen überdrüssig sind! Lasst uns gemeinsam geschützte Freiräume schaffen, in denen wir neue Allianzen schmieden, um unsere Welt besser zu begreifen, zu gestalten, Neues zu entdecken und Schönheit zu teilen. So trainieren wir unsere Resillienz, um Angst und Krisen zu überwinden. So gewinnen wir Selbstgestaltungsmacht, um das gefährliche, aber leider auch erfolgreichere Überbleibsel des 20. Jhds zu überwinden: das nachhaltig wirkende zynische Menschenbild, das nur den Stärkeren das Recht überlässt, die Welt zu ihrem Nutzen zu prägen – in von uns geschaffenen kulturellen Räumen und falls nötig auch auf der Straße!
Peter Arun Pfaff