Ist die Gezi Park Bewegung eingeschlafen? Hat sie sich nur verlagert? Wenn, ja wohin?
Das sind tatsächlich Fragen, die viele Menschen in Deutschland und im Rest Eruopas gerade zu bewegen scheinen. Ich höre diese Fragen sehr oft in letzter Zeit. Man wundert sich ob der eingekehrten Ruhe und wartet auf Neuigkeiten.
Ich befinde mich oft genug in der Polis und kann nur sagen: der Kampf geht in zugespitzter Form weiter. Recep Tayyip Erdogan fährt in gewohnter Form fort mit seinen Pöbeleien gegen junge Frauen, Schwule, Lesben, kritische JournalistInnen, Oppositionelle etc.. Ich denke von diesem Typen und seinem Umfeld ist kein diplomatisches einlenken zu erwarten. Er hat sich ja schon vom radikalen, religiösen Eiferer und Hisbollah-Unterstützer zu einem rechts-konservativen „formell verfassungstreuen“ Politiker gewandelt. Mehr geht nicht mehr. Momentan ist er eher schon wieder auf dem Rückweg zu seinen politischen Wurzeln.
Er wird weiter auf der harten Linie seine Gräben ziehen, bis ihn die Geschichte bestraft. Innenpolitisch bleibt er im selben Format. Inwieweit sich die Gezi-Proteste auf seinen politischen Erfolg auswirken, das werden die nächsten Kommunalwahlen zeigen, die Ende März 2014 anstehen.
Bis dahin wird es wohl weiterhin still bleiben, denn die Staatsmacht hat gerade die Opposition fest im Griff. Durch willkürliche Zugriffe und unzählige Klageschriften, Diffamierungen, intrigante Entlassungsmaßnahmen von Mitarbeitern aus den staatstreuen Medien, Fernsehsendern, Zeitungen und Verlagshäusern, erhält sie den Druck auf die Bevölkerung aufrecht. Auch bestimmt die Regierung mit sehr zwiespältigen Äußerungen ihres Premiers die Tagespolitik und schürt damit aber auch die Unsicherheit und die Polarisierung in der Bevölkerung.
Neulich konnte ich meinen Ohren nicht trauen, als er eine schon früher von ihm geäusserte Meinung wiederholte, wonach es moralisch untragbar sei, dass junge Menschen – vor allem StudentInnen – in gemischten WG’s unverheiratererweise zusammen wohnten. Was in Europa schon seit der 68’er Bewegung schon nicht mehr der Rede Wert ist, ist in diesem Land anscheinend noch ein großes Thema, denn der Premier droht mit juristischen Massnahmen, die diese Art des Zusammenlebens sogar unter Verbot stellen könnten.
Die Regierung verfolgt nun dieselbe perfide Strategie, derer sie bei solch streitbaren Themen immer zu bedienen beliebt: Der Premier macht krasse Aussagen, die dann aus seinem Umfeld abgeschwächt und erstaunt kommentiert werden. Geschickt werden diese Kommentare dazu genutzt in Detailfragen noch weitere Ängste zu schüren. Ein Beispiel: Eine Politikerin aus dem Kreis der Regierungspartei, die sich im Fernsehen zu dieser Thematik äusserte, meinte, dass sie die Aussage des Premiers nicht verstehe, dass so etwas undenkbar sei, dass sie sich aber vorstellen könne, dass der Premier damit die von Terrororganisationen angemieteten Wohnungen meine, die immer wieder mal von den Sicherheitskräften ausgehoben würden.
Klar übersetzt würde das heissen: „gemischte WG’s mit jungen Männern und Frauen könnten die Terrorismusgefahr im Lande steigern“.
Interessante Argumentation!
Dies ist nur eine von vielen abstrusen Diskussionen, die in der Türkei gerade Tag für Tag geführt werden. Die politische Auseinandersetzung fokussiert sich gerade auf Nebenschauplätze und ignoriert die essentiellen Fragen in der Gesellschaft weiterhin rigouros.
Im Grunde ist diese Methodik die letzten Jahrzehnte schon exzessiv durchgezogen worden. Ich denke, diese Art der politischen Diskussion hat erst dazu führen können, dass eine so grosse Masse an jungen Menschen in die ausser-institutionelle Protestsphäre gedrängt wurde. Diese Entwicklung wird sich wohl immer mehr verstärken und auch bald wieder zu neuen Protestwellen führen.
Ich glaube ausserdem, dass Tayyip Erdogan bald von Realos in seinem eigenen Umfeld zu Fall gebracht werden wird. Denn im jetzigen Stadium ist er auch für seine politischen Verbündeten im Ausland untragbar. Grosse Veränderungen stehen kurz bevor. Ich hoffe, sie bringen gutes für die junge hoffnungsvolle Population dieses Landes.