Der Fairness halber poste ich hier mal die Antwort von Philip Decker auf meine fordernde Attacke. Er hat mit diesem Text meinen Post kommentiert. Damit der Kommentar nicht untergeht poste ich ihn hier noch einmal:
Hallo Tuncay!
Ich kann Deinen Ärger über den Umgang der deutschen Kulturpolitik mit dem Thema Migration absolut nachvollziehen und hoffe meinen Teil dazu beitragen zu können, dass es zu dieser Deiner geforderten Diskussion und Auseinandersetzung kommt.
Klar fühle ich mich gerade etwas zu prominent in dieser Angelegenheit angesprochen, denn ich habe in dem Moment in dem ich meinen Aufruf geschrieben habe, zu aller erst an meinen Auftrag und nicht an die kulturpolitische Tragweite des sogenannten “Migrationstheaters” gedacht.
Da könnte man gleich noch eine weitere Diskussion über Lebens- und Arbeitsbedingungen im sogenannten Kulturprekariat dranhängen, aber dafür bin ich wohl zu jung oder dumm, habe zu viel Lust für und im Theater zu arbeiten und davon zu leben und bin somit noch nicht an meiner Frustrationsgrenze angelangt. Die ist bei Dir und vielen anderen offensichtlich erreicht.
Morgen leite ich Deinen Aufruf an die Münchner Kammerspiele weiter und ich hoffe, dass sich daraus ein wirklicher Diskurs zu diesem Thema ergibt, der dann auch seine Konsequenzen in der Kulturpolitik findet.
Trotzdem möchte ich das Projekt “Niemandsland” an dieser Stelle noch kurz verteidigen, denn es geht darin tatsächlich vielmehr um die Hinterfragung der Perspektive des Zuschauers auf das Thema Migration als um eine Zurschaustellung der Migranten. Damit zielt das Stück genau auf das ab, was sich ändern muss, damit diese Diskussion die Du führen willst fruchtbar ist: Unsere Sicht auf uns selbst und nicht die Sicht auf andere.
Freundschaftliche Grüße,
Philip
Genau das meine Ich aber auch! Die eurozentrististiker beschäftigen sich nur mit sich selbst und ihrer Auffassung und sind besorgt um die rationale Informationsaufnahme. Ich hingegen fordere die emotionale Informationsaufnahme. Denn für den rationalen Informationsaustausch ist diese Gesellschaft noch nicht fähig, denn es sind noch einige Fakten nicht richtig begriffen worden. Es herrscht sehr grosses Misstrauen in den Bevölkerungsgruppen vor, Angst und Aggression greifen um sich. Das führt dazu, dass gestandene Sozialdemokraten an genetische Hintergründe für die Gräben in der Gesellschaft glauben – einer schreibt ein stumpfsinniges Buch und verkauft Millionen davon. Massen blöken seine unglaublichen Thesen nach und die Medien verhalten sich vermeintlich neutral und fragen dreist und provokant: vielleicht steckt ja eine gewisse Wahrheit dahinter.
Soweit kann es nur kommen, wenn die Menschen durch subtile Meinungsmache und mediale Verblödung schön in ihren mentalen Ghettos gehalten werden. Die Aufgabe des Theaters wäre es hier eine Schnittstelle zu schaffen, die genau an dieser Stelle interveniert und in die verschiedenen Empfindungswelten eingreift.
So wie du dieses Stück beschrieben hast, sieht es eben genau so aus, dass erstens einmal eine Trennung gemacht wird zwischen der migrantischen und der nichtmigrantischen Welt und die Intervention nur dazu benutzt wird, um der nichtmigrantischen Seite Gelegenheit zu einer Selbsthinterfragung zu bieten, indem er seine Meinungsbilder mit Hilfe des Kontaktes zu einem/er Migrantin spiegelt und reflektiert. Er oder sie ist also wieder komplett mit sich und seiner Innenwelt beschäftigt. Der oder die MigrantIn erfüllt nur eine fast mechanisch Funktion.
Und genau darin liegt für mich der Knackpunkt. Unsere Message ist: Das Bahnhofsviertel ist keine erweiterter Bereich eures Yogazentrums. Raus aus der Reserve und rein in die Realität dieser Gesellschaft und da gibt es nicht nur seichtes Getätschel. Es gibt wichtige Auseinandersetzungen zu führen und emotionale Ausbrüche zu erleben.
Darauf müssen wir uns alle einlassen, wenn wir die Beschäftigung mit diesem Thema nicht nur aus Kulturmarktsegmentanalytischen Gründen durchführen wollen, sonder aufrichtig!
Die kulturpolitische Diskussion, die Du führen möchtest, ist richtig und wichtig und es sieht gerade so aus, als ob sich auch die Münchner Kammerspiele dieser Tragweite bewusst sind und anfangen an einer adequaten Aufarbeitung und Thematisierung zu arbeiten.
Mir Eurozentristik vorzuwerfen, finde ich, ehrlich gesagt, etwas komisch, denn ich habe gerade dadurch, dass ich dieses Projekt wie jedes andere Projekt behandelt habe, versucht einen objektiven Standpunkt zu vertreten und nicht irgendwelche Befindlichkeiten zu bedienen. Auch ich bin „Migrant“, nur dass ich mich nicht darüber definiere. Das liegt natürlich auch an meiner Umwelt und meinem Namen, die mir nicht das Gefühl geben „anders“ zu sein. Aber genau deshalb versuche ich auch alle Menschen und Aufträge gleich zu behandeln, nämlich mit Respekt.
Was das Projekt Niemandsland angeht, kann ich Deine Aussagen leider nicht ohne weiteres so stehen lassen. Ich habe das Projekt nämlich schon in seiner holländischen Version in Utrecht gesehen und konnte mir so schon meine Meinung aus erster Hand bilden.
Die Trennung deutscher Kulturkonsument & migrantischer Kunstroboter existiert für mich in diesem Projekt nicht, da zu allererst 2 Menschen aufeinandertreffen. Die Zuschauer müssen auch nicht zwangsläufig Kulturdeutsche sein, jeder(!) hat eine Perspektive auf das Thema. Beide haben Kopfhörer in den Ohren und beide begeben sich gemeinsam auf einen Weg durch ein multikulturelles (d.h. weder dem einen noch dem anderen Kulturkreis zugehörigen) Viertel. Auch Deinem Aufruf zu einer emotionalen Auseinandersetzung mit dem Thema kommt das Projekt, glaube ich, durch der Poesie, die ihm innewohnt, näher als Du denkst. Aber ich habe Deinen Blog auch an den Regisseur Dries Verhoeven weitergeleitet und ich denke er wird sich auch noch zu Wort melden.
Ansonsten finde ich es, umso länger ich drüber nachdenke, wirklich schwierig von Dir, ein Kunstprojekt im Vorhinein zu bewerten, ohne dass Du es überhaupt gesehen hast. Mein Aufruf mag vielleicht zu kurz gedacht, schlecht formuliert und nicht perfekt pc gewesen sein, aber ich brauche normalerweise dann doch eine tiefere Auseinandersetzung, bevor ich etwas für gut oder schlecht erachte.
P.S. Hast Du Dir eigentlich auch die an die Mail angehängte PDF angeschaut? Das was Du zitiert hast, ist nämlich eigentlich nur das Anschreiben, dass ich den verschiedenen Institutionen geschrieben habe… Aber das ändert wahrscheinlich wenig an Deiner Meinung.
jopp – habe einfach mal instinktiv reagiert, weil ich glaube, dass es an der zeit ist, dieses thema mal durchzuackern. das bringt uns allen was, glaubs mir.
dir mache ich gar keinen vorwurf und ich gebe auch zu, dass ich einfach mal drauflosgebrüllt habe, aber weisst du – ich habe mir in diesem land schon sehr oft ganz heftige kommentare von politikern, künsltern, kulturmenschen mit anhören müssen und habe es oft mit rücksichtslosigkeit zu tun gehabt.
ich nehme jetzt einfach auch keine rücksicht mehr auf pipikaka-befindlichkeiten.
freut euch auf einen ehrlichen diskurs!
wie gesagt: wir meinen es ja gut miteinander.
Hallo Tuncay,
Ich habe dein Text auf deinem Blog über meinem Stück Niemandsland gelesen. Es bringt mir Gedanken über die Weise worauf Ich lebe und versuche Kunst ze machen. Was du geschrieben hast ist absolut Nährstoff in das Denken über die Produktion.
Es ist Schade das du deine Meinung nich äußern möchtest in das Produktionsprocess meiner Vorstellung, aber schon vorher anruft das Castingsprozes zu boycotten. Meine Erfahrung ist das ein Persönliches Treffen hilft Annahmen zu nuancieren (oder diese knallhart zu bestätigen). Für mich ist es zumindest wichtig Performer weitgehend einzubeziehen in die Arbeit. Vielleicht das Ich (und andere Holländische regissseure) mich damit unterscheide von das Deutsche repertoiretheater, wo Schauspieler manchmall wie Schachstücke eingesetzt werden in das Konzept der Große Regisseur. Gerne bringe ich dir in Kontakt mit Darsteller die schon mitgemacht haben, um dir mehr daruber zu erzählen.
Über das Stück: Du hast recht das es in das Konzept “wieder” eine Trennung gemacht wird zwischen der migrantischen und nichtmigrantischen Welt. Auch über die Weise worauf ich das Viertel benütze hast du recht: Ich denke das durch diese Kopfhörer- Rundgang die Idee von einer “Migranten-Safari” entstehen kann. Total politisch unkorrekt. Dieser Konstruktion ist aber, ganz klar, eine Strategie um genau das zu befragen womit du und Ich so viele Probleme haben: Die gesellschaftlichen Trunnung von Welten die mehr mit einander zu tun haben als das diese sich von einander unterscheiden. Das Konzept theatralisiert die Trunnung von Deutscher und Migranten um letzendlich zu zeigen wie bescheuert so eine Trennung ist ist.
Ich habe die Meinung das mann ins Theater ab und zu eine Katze unter den Tauben werfen soll, bevor mann Gedanken nuanziert und vertieft. Am Ende der Vorstellung aber haben Zuschauer und Guide manchmal den Gefül einander getroffen zu haben. Vielen stehen noch immer, auch fünf Jahre nach dies eerste Aufführung, mit einander im Kontakt. Was du beschreibst als emotionelle Informationsaustausch ist mir wichtiger als ein rationale informationsaufnahme. Es war mir immer wichtig kein gut gemeintes Migranten-kuschel Stück zu machen, aber etwas das ehrlich und schmerzhaft ein Einblick gibt in die Gründe warum Menschen zich in ein Mentales Niemandsland befinden können, und das zu zeigen in ein Viertel wo die Situation aktuell sein könnte. Die letzte Jahren gab es meiner Meinung zu viel exotisches Migranten-theater. Ein richtiges Teffen findet mehr wahrscheinlich statt, wenn mann Schmerzen teilt.
Dein Blog zeigt mir zumindest den Relevanz unser Versuch. Klar, noch immer eine Chance das das Stück nicht deinem Geschmack ist. Aber glaube mir wenn ich sage das die MK mir nicht fragen um das Stück hier zu zeigen um sich ein bisschen legitimität zu kaufen von die Münchner mit einem nicht-westlichen Hintergund. Auch ich finde das Deutsche Stadttheater ab und zu selbstbefriedigend Schickimicki, es wäre mir lieber wenn es nur noch Stadtrundgänge gibt, aber so etwas kostet Zeit…
Alles gute, Dries
p.s. Nein, ich frage dir kein Döner zu essen und bitte verzeih mir meine Schreibfehler, ich bin auch Migrant.
haha
hey dries
mir gefällt deine offenherzige antwort und ich denke, du hast begriffen, worum es mir geht.
gerne können wir uns treffen.
mein boykottaufruf gilt nicht gegen dich, oder gegen irgendjemanden persönlich. eigentlich boykottiere ich die haltung (bzw. die unbeholfenheit) der hiesigen vermeintlichen hochkultur.
irgendwer musste irgendwann mal was sagen und ich habe einfach mal an einer ecke angefangen – ich gebe zu, ich war rücksichtslos, aber im gegensatz zu früher, nehme ich keine rücksicht mehr. wer das so akzeptieren kann, der ist gerne mein gesprächspartner.
lass uns treffen.
gruss
tuncay