Entsetzen in Deutschland

Ja wir sind entsetzt und beschämt. Deutschland schämt sich wieder. Das find ich gut! Das zeigt zumindest, dass das Schamgefühlt noch existiert. Sogar die Bild Zeitung ist empört. Ja schämt euch mal ihr Säcke! Ich schäme mich aus reiner Solidarität mit euch, obwohl ich bekennender Passdeutscher nur bin. Der sächsische Ministerpräsident Kretschmer hat ganz gut geredet bei der Pressemitteilung letztens. Er hat sein Volk in keinem Punkt geschont, die auf dem Rücken der Opfer betriebene rechtspopulistische Propaganda verurteilt und eindringlich auf die Gefahr von Rechts hingewiesen. Ich stimme mit ihm in fast allen Punkten überein. Nur in ein paaren nicht: Die Polizei hat vielleicht das beste gemacht, was sie in solcher Unterzahl hätte leisten können, aber gut vorbereitet war sie nicht. Nach all der Vorgeschichte, die das Bundesland Sachsen hinsichtlich rechtsextremistischer Gewalt schon vorzuweisen hat, nach all den Verfolgungsjagden, die sich auf der Straße nur ein Paar Tage vor dem letzten Riesenaufmarsch abgespielt haben, kann sich ein Polizeisprecher nicht damit rechtfertigen, dass man mit einer solchen Masse an rechten Demonstranten nicht gerechnet habe. Sorry, aber das ist leider der Job! Damit müsst Ihr rechnen. Wir rechnen schon seit Jahren ständig damit. Das schafft ihr schon auch. Außerdem wissen wir nur sehr genau, dass ihr das durchaus könnt, wenn ihr wollt!

Ich persönlich habe keine Lust mehr auf Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Co. Ja es sind schöne Bundesländer, aber ich fühle mich dort nicht wohl und solange ich nicht muss, fahre ich auch nicht hin. Ja es gibt No-Go-Areas für mich in Deutschland. Die meisten befinden sich in den sogenannten Neuen Deutschen Bundesländern. So wie mir geht es einigen aus meinem Umfeld. Ob mit Migrationsvordergrund, dunklerer Haut, oder ohne. Ist das nicht schade? Um’s einfach zu formulieren: „Da ist es mir zu Fascho“ und es gibt eine sehr traurige Vorgeschichte, die sich seit den 90ern bis in die jetzige Zeit weiterzieht.

Was Regierungsvertreter allerdings nicht gerne hören, ist der Vorwurf, man hätte bisher nicht genug gegen die Entwicklung von rechtsradikalen Netzwerken und der Verbreitung rechten Gedankenguts in Deutschland getan. Kretschmer äußert auch die Meinung, dass es jetzt nicht weiterhelfe, sich darüber zu streiten, wer mehr, oder weniger dagegen getan hätte. Im Klartext heißt das für mich, dass man sich immer noch einer kritischen Selbstanalyse verweigert.

Guten Morgen liebe Leute! Welche Hinweise braucht Ihr denn noch? In einigen Regionen im Osten Deutschlands bemächtigen sich rechte Strukturen so wichtiger Themen wie der Jugendarbeit, der Kinderbetreuung, der Familienarbeit und anderer sozialer Bereiche. Rechtsnational fokussierte Verlage übernehmen den Sektor der politischen Bildung. Rechte Musikveranstalter, Bands und Musikverlage drängen immer aufdringlicher in das Kultursegment, während Staat und Kommunen sich nicht trauen, Kultur- und Sozialetats mal deutlich nach oben zu korrigieren und neue, mittel- bis langfristig wirkende innovative Konzepte im Umgang mit rechtsradikalen Tendenzen in der jungen Bevölkerung einzuleiten, bestehende zu stärken und zu fördern.

Das staatliche Gewaltmonopol im verbalen Nachklang zu bemühen reicht alleine nicht aus! Erstens bezweifle ich es vehement, dass der Staat sein Gewaltmonopol gegen Rechts voll ausreizen wird. Und außerdem würde dies auch nicht viel helfen. Es braucht größere Etats und neue Konzepte im sozialen und kulturellen Bereich. Soziale Tätigkeiten und Berufe müssen wieder anständig bezahlt werden. Die Prioritäten in der Gesellschaft müssen anders gesetzt werden. Damals anfang der 90’er, nach Hoyerswerda, Rostock Lichtenhagen, Mölln, Solingen begnügte sich die Politik damit, mit einer härteren Einwanderungsregelung vor den rechten Forderungen einzuknicken. So konnten sich rechte Strukturen Kaskadenförmig aufeinander aufbauend weiterentwickeln. Nun sind wir soweit, dass der ganze NSU Komplex nicht korrekt aufgearbeitet werden kann, weil der Verfassungsschutz die Täter deckt und die Justiz die Tätergruppe wider besseren Wissens auf Einzeltäter reduziert. Der Rechtsstaat fürchtet sich vor seinen eigenen tiefen Abgründen und bevorzugt sie zuzuschaufeln und den Kopf in den Sand zu stecken.

Und jetzt? Jetzt kommt der nächste Arschtritt von Rechts und man ist schon wieder entsetzt, auf Grund der wiederholten Zerstörung seines rosaroten Traumbildes von sich selbst durch ostdeutsche, rechte Chaoten. Ja dann seid mal entsetzt und beschämt! Hässlich seid ihr obendrein. Ich persönlich würde mich freuen, wenn es diesmal nicht bei Entsetzen und Scham bleibt. Es braucht eine breit aufgestellte Agenda gegen Rechts, ein flächendeckendes sozialpolitisches Programm, sonst fliegt uns das rosarote Rechtstaatstheater hier sehr bald um die Ohren. Was soll denn das? Alle tun immer noch so, als wären das ein paar verirrte Wirrköpfe? Das sind stramm organisierte verfassungsfeindliche politische Netzwerkstrukturen, die bis in den Verfassungsschutz und den Polizeiapparat hineinreichen. Ja ja, ich übertreibe! Klar! Einen Scheißdreck übertreibe ich! Und das wißt Ihr alle eigentlich genauso gut wie ich. Nur wahr haben will man’s halt nicht. „Es ist doch noch so schön? wir befinden uns doch gerade erst wieder im wirtschaftlichen Aufschwung“.

Ja tun wir. Dann sollten wir gefälligst flächendeckend in langfristige sozialpolitische Bildungs- und Beschäftigungsprogramme für Ostdeutschland investieren, damit dieser Spuk mal ein Ende hat. Auf’s staatliche Gewaltmonopol würde ich mich da am allerwenigsten verlassen. Das hat noch nie wirklich geholfen. Außerdem sitzt genau in diesem Gewaltmonopol das faschistische Potenzial des Staates.

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