Zum Gepöbel in Zwickau

Einige von euch werden den Rummel um die Gedenkstätte an die NSU-Opfer in Zwickau mitgekriegt haben. Im Grunde eine gute Sache, hat diese Angelegenheit jedoch erstaunlicherweise sowohl die Rechten, als auch die Linken, aber vor allem die Angehörigen der NSU-Opfer empört. Viele haben es nur am Rande mitgekriegt und wissen über den Ablauf der Ereignisse nicht genau bescheid!

Ich will dieses Vorkommnis hier auf meine Art analysieren, weil es meiner Meinung nach eine sehr klare Momentaufnahme der gesellschaftlichen Brüche in Deutschland wiedergibt.

Was ist passiert?

In Zwickau, wo das Kerntrio des NSU zuletzt im Untergrund lebte, wurde von einer Bürgerinitiative am 8. September 2019 zum Gedenken an Enver Şimşek – dem ersten Opfer der NSU-Mordserie – auf der Ziegelwiese im nördlichen Teil des Schwanenteichparks eine Deutsche Eiche gepflanzt. Nur wenige Wochen später wurde der Baum von Unbekannten abgesägt. Eine Woche später wurde auch eine Bank mit einer Inschrift zerstört, die zum Gedenken an Şimşek aufgestellt worden war.

Dies sorgte berechtigterweise für allgemeine Empörung. Nun hat sich – wohl ausgelöst durch den schlimmen Anschlag von Halle am 10. Oktober – eine Schüler*inneninitiative der geschändeten Gedenkstätte in Zwickau angenommen. Ein paar Tage nach besagtem Anschlag wird eine große Gedenkveranstaltung abgehalten und die Wiedereinrichtung des Gedenkstätte – diesmal bestehend aus 10 Bäumen (für alle NSU Opfer) – beschlossen. Sogar die Bundeskanzlerin ist zur Einweihungsfeier eingeladen! Ein großartiges Zeichen von Bewußtsein, Haltung und Zivilcourage – noch dazu dargebracht von Schüler*innen in Zwickau! Wundervoll.

Das Problem ist nur, dass weder die Schüler*innen, noch die Lehrer, noch irgendjemand in der Stadtverwaltung und der Politik sich anscheinend auch nur Ansatzweise vorstellen konnte, dass eine Gruppe bei diesem wichtigen Ereignis im Grunde nie und nimmer fehlen darf: Die Angehörigen der Opfer und all die migrantischen Bürgerinitiativen, die seit Jahren sich um die Aufklärung und Aufarbeitung des NSU Komplexes bemühen. Vor lauter schnell schnell, hat man diese Menschen vergessen. Unglaublich!

Nun kam es doch tatsächlich am 4. November zur Einweihung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel in Begleitung von Schülervertreter*innen, dem Sächsischen Ministerpräsidenten und der Oberbürgermeisterin von Zwickau. Eine Handvoll repräsentativer Menschen, die dort ein Zeichen setzen wollten.

Die Gedenkstätte war wohl weiträumig abgeriegelt worden, denn es hatte sich schon eine Gegendemonstration von „wütenden Bürger*innen“ formiert, die mit „Merkel muß weg“ Rufen die Veranstaltung stören wollten. Sie werfen der Bundesregierung eine Wahrnehmungsverschiebung vor, denn für sie ist diese Gedenkstätte völlig unwichtig. Sie bedauern, dass die Regierenden in diesem Lande ihre Steuergelder sinnvoller ausgeben sollten, indem sie sich gefälligst um die wahren „Deutschen“ im Lande kümmern.

Deutschlandfunk Kultur reagiert am Tag darauf mit einer Sendug, die das Gepöbel der Rechten und die Verrohung der Gesellschaft  verurteilt!

Wir haben hier eine übliche Situation: Deutsch-deutsche Demokrat*innen zeigen Zivilcourage und Gedenken der Opfer von rechter Gewalt, die wiederum ebenfalls von Vertreter*innen der Mehrheitsgesellschaft verübt wurde. Die Polizei besteht vorwiegend aus deutsch-deutschen Beamt*innen und es protestieren deutsche Reche, die dieses Gedenken als Affront gegen sich sehen. Die Demokrat*innen und die seriösen Medien im Lande verurteilen das Gepöbel gegen die Kanzlerin.

Fazit: die Kartoffeln sind wieder mal mit sich selbst beschäftigt und auch fest davon überzeugt, dass sie alles richtig begreifen und das schon lösen werden. Zu Gunsten wessen auch immer: Entweder setzen sich die einen durch und lassen sich als Helden der Demokratie feiern, oder eben die anderen und machen dann im Auftrag des Staates ungeniert Jagd auf alle „Anderen“ – so wie das schon einmal auf unmenschliche Weise in diesem Land passiert ist. In beiden Fällen interessiert die Meinung der „Restgesellschaft“ nicht. Die müssen sich zurücklehnen und seufzend warten bis die Herrenrasse die Sache geklärt hat.

Eine Gedenkstätte für die Opfer des NSU in Zwickau! Wie wichtig und wertvoll dieses Zeichen jedoch tatsächlich wäre!

Ich sage „wäre“, denn sowohl die Tatsache, dass die Angehörigen der Opfer weder eingeladen, noch benachrichtigt wurden, als auch der Fakt, dass mehrere Namen der Opfer falsch geschrieben wurden, zeugt leider von einer halbherzigen Intention des Ganzen.

Da ich zunächst dachte, dass diese Veranstaltung von der Bundesregierung initiiert war, wurde ich sofort mißtrauisch: Ich dachte der Grund für den Faux Pas wird die Sorge davor gewesen sein, das Rechte Spektrum (mit Sicherheit auch unter den eigenen Wählern) verärgern zu können. vor allem aber war ich überzeugt, dass diese Entscheidung in der Sorge begründet lag, dass man bei einer Zusammenkunft mit den Angehörigen mit Konfrontationen und Forderungen um Tansparenz und Aufklärung im und um den NSU-Komplex zu rechnen hätte. Mitlerweile glaube ich aber, dass man die Angehörigen einfach vergessen hat, genauso, wie Frank Walter Steinmeier in Halle vergessen hat, dem Dönerimbiss, in dem ja bekanntlich 2 Menschen vom Attentäter hingerichtet wurden, seine Aufwartung zu machen. Ich befürchte tatsächlich, dass diese Menschen vergessen wurden und ständig vergessen werden. Ich vermute darüber hinaus, das das deswegen so ist, weil die Opfer mit Migrationshintergrund nur als symbolische Aufsteller fungieren, sozusagen als Markierungen, an denen man in ständiger Wiederkäuer-Manier sein vom Holocaust geplagtes Gewissen abarbeitet.

Heftige Reaktionen von Rechts hat man so oder so zu erwarten. Damit muss man rechnen! Sich darüber zu wundern, ist Heuchelei! Das ist die Realität in Deutschland! Und der muss man sich endlich entgegenstellen. Nichts hätte sich dazu besser geeignet, als ein Schulterschluss mit den Angehörigen, aber denkt man nicht mal.

Jetzt ist wieder einmal das Schlimmste eingetreten: keine klare Haltung gegen Rechts, keine klare Benennung der Täter und ihrer organisierten Netzwerkstrukturen, keine klare Positionierung an der Seite der Opfer und ihrer Angehörigen, kein klares Statement „gegen den Faschismus“!

Genau deswegen denke ich leider, dass man sich jetzt mal auf die Hinterbeine stellen sollte, statt hier über „Pöbeleien“ abzujammern, die nichts anderes sind, als Auswüchse von organisierten faschistischen Strukturen, die man seit Jahrzehnten auf Staatsebene bewusst und subtil protegiert, deren Akzeptanz man aber mit unbeholfenen Statements und solchen schwammigen Aktionen auch offen fördert.

Keine der genannten Parteien sieht die sogenannte „Opferpartei“ überhaupt als eine relevante Größe in diesem Game! Der Faschismus in Deutschland ist jedoch nicht nur eine innere Angelegenheit der (Deutsch-) Deutschen! Er kann nur besiegt werden, wenn die gesamte Gesellschaft sich organisiert gegen ihn stellt. Und das ist nur möglich, wenn auch alle Bestandteile der Gesellschaft immer angesprochen werden.

Abgesehen davon: stellt euch mal vor, Euer Vater wird ermordet und es findet eine Gedenkveranstaltung statt, auf der Ihr nicht eingeladen seid? Und noch dazu wird sein Name falsch geschrieben?

Wie würdet Ihr reagieren?

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