Satirezeitschriften haben in der Türkei eine lange Tradition. Man kann es sich unter Anbetracht der jetzigen Lage im Lande kaum vorstellen, aber: auch die politische Opposition hat eine lange und ruhmreiche Tradition. Wenn man hier in Europa nicht so sehr auf seinen eigenen Humanistenpimmel fixiert wäre, dann hätte man vielleicht auch mal die Offenheit, sich mit solchen Phänomenen zu beschäftigen, aber so begnügt man sich einfach mit Türken- und Moslembashing.
Ich habe türkische Satirezeitschriften (aufgrund meines sehr jungen Alters) natürlich erst ab den Ende 70ern mitbekommen. Das progressivste Medium war seiner Zeit die GırGır (was tatsächlich soviel bedeutet wie „Gaudi“), die wir wöchentlich immer verschlangen. Obwohl ich mit meinen knapp 10 Jahren und noch relativ rudimentären Türkischkenntnissen nur einen Bruchteil der Witze und vor allem der subtilen Anspielungen wirklich begriff, sogen die virtuosen Zeichnungen und der für mich noch sehr neue und aufregende Strassenslang mich förmlich hinein in die schwarz auf gelb bedruckten Seiten. Sie katapultierten mich in eine ganz neue aufregende Welt, die ich nicht ganz verstand, die aber irgendwie lustig zu sein schien. Vor allem konnt ich Stück für Stück mehr erfahren über all diese Menschen und dieses Land, das so anders war, als die aus Beton gegossene graue Arbeitersiedlung in Milbertshofen, in der ich sozialisiert und aufgewachsen war. Ich gab mich im kurzen Urlaub dieser Welt hin, die viel lebendiger, viel bunter war, sie schmeckte anders, sie roch anders und verhies mir noch viele Geheimnisse, die ich noch erkunden würde.
In den Achtzigern verstand ich schon mehr. Auch hatte ich die Gelegenheit, einige Jahre am Stück in Istanbul zu verbringen und es war grossartig. Die Stadt war damals nicht so hip und voll. Man hatte Platz und Zeit und die Satirezeitschriften kommentierten im Grunde unseren damaligen Alltag dort. Sie begleiteten das Tagesgeschehen fast in Echtzeit. Sie kannten die Wortspiele und die tragikomischen Seiten des Lebens in dieser Stadt, die Absurditäten, die sich bis jetzt immer noch Tag um Tag übertreffen.
Der GırGır folgte die Limon. Dann kamen Magazine wie Dıgıl, Hıbır, Çarsaf, Leman und irgendwann dann die Penguen. Eine der neueren Namen auf dem Markt ist z.B. die Uykusuz. Und das sind nur wenige Namen. Es sind alles Medien, die in ihren Auflagen fast die Tageszeitungen überboten und -bieten. Die Türken waren nie große Zeitungsleser, aber sie frönten schon immer einem Humor, der dicht an der Volksseele dran ist, der flink und wendig ist, der die Sprache der „Amigos“ kennt, der Anfeuerer im Fussballstadion. Es ist natürlich auch schon immer eine machistische Welt gewesen, eine männerdominierte, eine wild fluchende. Der Humor – so absurd er auch sein mag und so dadaistisch er auch manchmal rüberkommt – ist geprägt vom melancholischen Blick der trauernden Männerseele. Es ist die Welt der einsamen Jungs und Patriarchen, die in ihrer sexuellen Unbefriedigung und dem männlichen Behauptungswahn, sich rastlos in der Stadt bewegen, streckenweise sehr kritisch im Untergrund agieren, aufgrund des gesellschaftlichen Drucks auch immer in Chiffren kommunizieren und vor allem: immer mit dem Schicksal hadern, in dieser unperfekten Gesellschaft leben zu müssen, sie sie aber auch leidenschaftliche lieben, zwischen den Stühlen, zwischen Ost und West, zwischen Asien und Europa. So entstehen natürlich gewollt, oder ungewollt viele komische und tragikomische Alltagssituation, die man als Humorist in diesem Land nur auflesen braucht, wie reifes Obst.
Die Zeitschriften brachten und bringen große Humoristen und Comedians hervor und sind aus dem kulturellen Leben der Türkei kaum wegzudenken. Deswegen gibt es dort wohl auch wesentlich mehr von ihnen, als in Deutschland. Es werden mehr Karikaturen gezeichnet, nicht nur in Zeitungen. Manche Autoren und Zeichner musste man wochenlang verfolgen, bevor man ihren „humoristischen Codex“ entschlüsselt hatte. Es war schon immer raffiniert gemacht und sehr liebevoll gezeichnet, Woche für Woche.
Als Satiriker hatte man es in der Türkei nie einfach und mußte deswegen immer sehr einfallsreich sein. In der jetzigen Phase der Unterdrückung jeglicher Kritik an der despotischen Regierung Erdogans lastet ein enormer Druck auf diesem Genre. Die erste Zeitschrift wurde schon auf Grund eines kritischen Titelbildes aus dem Verkehr gezogen und verboten: die Leman. Die aktuellen Entwicklungen lassen nichts gutes hoffen….leider.
Triptonious Coltrane
Veröffentlicht im Gaudiblatt 25, Camicaze, September 2016