Vergessen

Ich werde immer vergesslicher. Für mich ist die Vergesslichkeit ein mir wohlbekanntes Phänomen, das mich mein ganzes Leben lang begleitet, aber in diesem Ausmass, wie sie sich in letzter Zeit anbahnt, ist es ein Novum für mich.
Ich brauche länger, um Namen von mir wohlbekannten Freunden und Bekannten aus meinem Gedächtnis hervorzumeisseln. Es kommt vor, dass ich Tag für Tag an der Bank vorbeigehe und ständig vergesse, die Schecks einzulösen, die sich in meiner Tasche so mit der Zeit angesammelt haben.
Jetzt kann man natürlich sagen: „Na, alter! Du bist eben auch nicht mehr der Jüngste“. Ok, ihr habt ja recht. Ich hatte mich schon damit abgefunden, bis ich letztens diesen Beitrag über den hohen Quecksilberbestand in EU-genormten Energiesparlampen gesehen habe und vor allem mir wieder bewußt wurde, was ich eh schon weiß: nämlich die negativen Wirkungen, die Quecksilber auf unser vegetatives Nervensystem hat.
Na da wurde mir ganz schwindlig muß ich sagen. Auch sonst gibt es so einige Dinge in unserer kapitalistischen Hübschi-Welt, deren Nebenwirkungen zum Gruseln sind, an die aber Niemand denken will.

Bulb Fiction-Die Lüge der Energiesparlampe (Vera Exklusiv 9.10.2011-ORF)

Stattdessen will man lieber vergessen. Eine Gesellschaft, die schneller vergisst, ist auch schneller wieder in der Lage, den selben Mißt, unter dem ihre Elterngerationionen gelitten haben nochmal durchzukauen. Diese Vergessensabstände werden immer kürzer. Die Menschen werden immer schneller vergesslich. Müssen sie ja auch – bei der Menge an Neuerungen, die da in der Pipeline warten, muß die Festplatte schneller mal plattgemacht werden.
Außerdem sind große Erinnerungen lästig, sie stehen sperrig im Wege. All die menschlichen Beziehungen, Namen, Kindheitserinnerungen, vor allem all die großen Emotionen, die einen so lange prägen und in ihrem Griff halten. Man muß flexibler sein und deswegen sich auch früher von ihnen lösen können. Das muß schneller gehen, zack zack zack.
Vielleicht erfüllen diese Energiesparlampen ja somit einen Mehrwert im Sinne einer dynamischeren Gesellschaft: Man hat ein gutes Gefühl, denn man spart ja angeblich Geld und Energie (was ja mitlerweile auch ziemlich bestritten wird, aber darum geht’s ja nicht, es geht ja nur um das kurzfristige, temporäre befridigende Gefühl) und ausserdem wird dadurch vermieden, dass sich ein kollektives menschliches Erinnerungsarchiv erhält. Somit können einige wenige Menschen, die sich die Macht über ein digitales Erinnerungsarchiv über die Jahre erarbeitet haben (zum Beispiel CEO’s von großen Webkonzernen wie Facebook, Google etc.) sich ein Monopol auf die menschliche Erinnerung im digitalen Format schaffen.
Somit hält sich die Konkurrenz im kleinen Rahmen und ist überschaubar. Wichtig zu bemerken: Dabei wird mitnichten aktuell unwichtige oder unopportune Information unter den Teppich gekehrt oder gelöscht. Ganz im Gegenteil! Alles wird archiviert. Der Zugang zu den Archiven wird lediglich limitiert und damit auch das Monopol aus vergessener Information, im Handumdrehen aktuell relevante Information zu machen.
Die größten Feinde dieses zukunftsträchtigen Systems sind natürlich immer dieselben: die ewig gestrigen, die unliebsamen Skeptiker und Nörgler, die die immer meinen, anders als alle anderen sein zu müssen. Die die immer noch kein Smartphone und nur einen Fake-Facebookaccount haben. So Typen wie ich eben, die immer noch Wert legen, auf nachhaltige Archivierung von menschlichem Wissen, Gefühlen, Erinnerungen in Form von Neutronen, Synapsen etc.
Also sollten wir mal schnell zurückfinden zur herkömmlichen Glühbirne, oder zumindest eine Alternative finden zur uns aktuell EU-genormt vorgesetzten Energiesparlampe. Ich frage mich eh, ob Marc Zuckerberg oder Larry Page so ein Ding je in ihrem Haus anbringen würden. Ich glaub nämlich eben nicht, dass die so doof sind.

There’s something wrong in Erdoǧans Paradise

Ich befinde mich gerade in einer meiner beiden Heimaten. Der Türkei. Meine Eltern stammen von der Schwarzmeerküste, ca. 150 Km östlich von Istanbul – ein Ort namens Karasu, direkt an der Mündung des Flusses Sakarya (antiker Name „Sangaryos“) in der gleichnamigen Provinz gelegen.
Wen es interessiert, der kann ja auf Goolge Maps mal suchen. Eine recht konservative Kleinstadt direkt am Meer. In Karasu und in dem in der Nähe gelegenen kleinen Fischerdorf Melenaǧzıverbrachte ich die ersten vier Jahre meines Lebens. Damals gab es hier noch keine Elektrizität und kein fliessend Wasser. Ich kann mich noch genau erinnern, wie meine Oma mich zu Bett brachte mit einer Öllampe in der Hand, im Ohr habe ich immer noch das Schürfen ihrer leichtfüßigen Schritte auf dem groben Dielenboden und das stetige Rauschen des Meeres. Meine Familie hat georgische Abstammung und zu dieser Zeit war georgisch noch die dominante Alltagssprache in manchen Vierteln und Dörfern der Region. So habe ich als Kind georgisch verstehen gelernt – zumindest den groben Dialekt, der in meiner Großfamilie gesprochen wurde. Sprechen kann ich es leider nicht.
Meine Mutter hat mir dann in München während meiner Kindergarten- und Grundschulzeit zuhause türkisch beigebracht und natürlich auch – wie es sich so in einer türkischen Familie gehörte – mir den mythischen türkischen Nationalhelden Kemal Atatürk, den ich dann Jahrelang mit verklärtem Blick verehrte. Mein Vater war damals noch Sozialist und in Identitätsfragen nicht so aufdringlich und konkret wie meine Mutter. Er hatte jedoch damals noch eine gewisse gesunde Distanz zu den ideologischen Fragen des Lebens, womit sich immer wieder Ernüchterung einschlich in meine, sich neu formierende Weltsicht.
Er machte sich schon immer über die Hodschas und die Muezzine lustig und war auch der erste, der mir eine kritische Haltung gegenüber Atatürk mit auf den Weg gab. Schließlich war jener es, der schon damals die Linken im Lande verfolgen ließ.
Atatürk war aber auch kein Freund der Hodschas, also des islamischen Klerus. Er tat sein bestes, um die Macht der religiösen Kräfte im Lande zu schmälern. Dazu muß gesagt werden, daß es zu dieser Zeit – nach der Abschaffung des Kalifats durch eben denselben Atatürk und seiner Reformen – im Islam keine zentrale leitende Instanz gegeben hat, wie zum Beispiel im Katholizismus der Papst, oder im orthodoxen Christentum den Patriarchen.
Auch waren die Scharen der Gläubigen schon lange vor der Abschaffung des Kalifen,  unterteilt in Zugehörigkeiten zu bestimmten Orden, Bruderschaften, Konfessionen etc. etc. etc.. Man kann sich natürlich vorstellen, wie diese Organisationen nach der Schwächung und dem Wegfall der osmanischen Führungsriege in den ersten 2 Jahrzehnten des 20. Jhd’s versuchten, das dadurch entstandene Vakuum zu füllen.
Diese stetige Unruhe in den religiösen Zirkeln und auch die umtriebigen Aktivitäten der Linken waren einem disziplinierten Heeresleiter wie Atatürk natürlich ein Dorn im Auge. Deswegen wurden diese Kräfte mit der Macht, die ihm seine Triumphe als Offizier der osmanischen Armee bei Gallipoli 1916 und während des Befreiungskrieges von 1919 – 1922 einbrachten, einfach weggefegt, ins Exil getrieben, eliminiert etc. und auch diese innenpolitischen Triumphe gegen die „Spalter“ und die „Verräter“ in den eigenen Reihen wurden von nun an zu einem wesentlichen Teil seiner Staatspropaganda. Die grausame Zerschlagung des Kurdenaufstandes von Dersim 1936 und die Beschneidung der Minderheitenrechte in den 30’er Jahren können ebenfalls als unglückliche Beispiele einer seitdem üblichen Despotie in diesem Lande gesehen werden. Vergessen darf man allerdings nicht, dass die Alternative dazu – im Falle eines Einknickens und einer Schwächung des Systems – die Kolonisierung oder die unbedingte Abhängigkeit des Landes war. Dieses Risiko war Atatürk nach all dem Einsatz, den er für die Unabhängigkeit des Landes geleistet hatte, natürlich nicht bereit einzugehen.
Nun holt die Tragik der Geschichte die türkische Republik jedoch auf eine bestürzende Weise wieder ein. Denn Atatürk ist jetzt mal ordentlich „Out“ und sämtliche Errungenschaften der damals jungen, jetzt nicht mehr so jungen, aber immer noch genauso unbeholfenen Demokratie in diesem Lande werden nun, nachdem Tayyip Erdoǧan und seine Kader seit nunmehr fast 10 Jahren am Ruder sind, alle Stück für Stück demontiert. In Europa hat man ja eher genau den entgegengesetzten Eindruck: Das Land boomt und entwickelt sich immer mehr zum Stabilisator in der Region, die Demokratie gewinnt an Boden durch Reformen in der Verfassung und die Rückhaltlose Verfolgung politischer Straftäter und und und.
wenn man sich die Entwicklungen jedoch von der Nähe ansieht und auch interne Ansichten ab und an bemüht, bietet sich da ein anderes Bild. Erdoǧan und sein Kabinett holen sich ihre Stimmanteile in der Bevölkerung durch eine teilweise sehr gefährliche bauernschlaue Polemik, die immer auf einer sehr religiös-konservativen Basis fußt. Für einen gesunden Diskurs bleibt dabei hinter der allseits dominanten täglichen Demagogie und den marktschreierischen Reden der Politiker nicht viel Raum. Da werden in Sonderkommissionen im Parlament über Bildungsspezifische Fragen abgestimmt und dabei die stimmberechtigten Abgeordneten der Oppositionsparteien mit körpelicher Gewalt an der Stimmabgabe gehindert; Verfassungsänderungen in Pauschalpakete gepackt, in denen sich Gesetzesmodulierungen verstecken, die fast die ganze Jurikative des Landes in die Hände der Regierung stellt und noch so einiges, was hinterfragungswürdig wäre. Hinterfragt darf aber grundsätzlich genausowenig werden, wie vor der AKP-Regierung. Hinterfragen ist sowieso eher etwas für Weicheier. Wenn, dann wird gleich Sturm geblasen. Mit Vorliebe gegen Atatürk. Der fungiert jetzt als Blitzableiter, auf den man alles abwältzen kann. Er, der große Nationalheld war schon immer viel zu visionär und zu weitblickend, als dass man ihn hätte mal so stehen lassen können. Stattdessen wurde er durch hässliche Denkmäler, Büste, Masken, Fahnen, durch verklärte Publikationen und kritiklose Huldigung seit Jahrzehnten systematisch sinnentleert und somit eigentlich seiner eigenen Inhalte beraubt. So konnte seine omnipräsente Fratze – eines despotischen Dämons gleich – als reines Machtsymbol einer skrupellosen Militärdiktatur mit scheindemokratischem Anstrich benutzt werden. Jetzt wendet sich das Blatt zwar scheinbar, aber im Gunde bleibt der Despotismus bestehen.
Sämtliche Institutionen im Lande werden nun unterwandert von Bürokraten, die dem islamistischen Kapital nahestehen. Die Lautsprecher der Muezzine werden lauter gestellt und Bräuche aus vorrepublikanischer Zeit wieder aufgenommen. Auf dem Land werden Todesmeldungen, die vor Urzeiten eben auch durch die Muezzine vom Minarett ausgerufen wurden und von der der Salá Sure aus dem Koran eingeleitet werden jedesmal vorgenommen, wenn jemand in der Kleinstadt stirbt. Man stelle sich vor: bei einer etwas höheren Population erschallt durchschnittlich pro Tag eine Todesmeldung – Psychoterror!
Der steigende Stimmenanteil, den Erdogans Partei von mal zu mal einheimst, führt dazu, dass die Regierung immer mehr Bereiche der Legislative dominieren kann, Gesetze ändern kann und immer freizügiger schalten und walten kann. So hat die Regierung die wichtigsten Gremien der Jurikative in der Hand und kann somit ungeheuren Druck auf oppositionelle Politiker, Medien und auch einzelne Journalisten ausüben. Momentan sitzen mehr Journalisten im Gefängnis, als je zuvor. Teilweise mit scheinheiligen Begründungen und auch gerne mal über zwei Jahre lang in Untersuchungshaft ohne irgendeine Klageschrift.
Zwar werden die größten Übeltäter des Landes, nämlich die hochrangigen Offiziere und Generäle des Militärs, die die letzten großen Putschvorgänge und auch den militärischen Terror im Lande zu verantworten haben, vor Gericht gezerrt und für ihre Untaten belangt, aber trotzdem bleibt ein flaues Gefühl im Magen, denn man kann sich sicher sein, daß dies nicht nur aus Liebe zur Gerechtigkeit geschieht, sondern vielmehr, um eine machtpolitische Regulierung zugunsten einer anderen despotischen Macht im Lande einzuleiten: dem konservativen Islam.
Täglich werden Frauen von ihren eifersüchtigen Männern ermordet, junge Mädchen von ihren vermeintlichen Ehemännern missbraucht und misshandelt, ohne dass die Tätet eine große Strafe zu erwarten hätten. Denn der Mann hat hierzulande immer noch ein dominantes Vorrecht in Geschlechterfragen.
Das die unabhängige Justiz immer noch ein ferner Traum ist, zeigen die Prozesse um den internationalen Schwindelverein „Deniz Feneri e.V.“, über den – unter dem Deckmantel der Wohltätigkeit für moslimische Glaubensbrüder und -schwestern – in Deutschland Spenden für Erdoǧans Wahlkampf im Jahr 2007 gesammelt wurden. Die deutschen Behörden haben den Fall aufgedeckt und haben die Gerichtsakten schon lange an die türkischen Justizbehörden weitergereicht, aber nun werden – statt der in dem Fall beschuldigten Drahtzieher – ebendiese türkischen Staatsanwälte belangt und verurteilt, die die Akten und somit den Fall an sich nahmen.
Auch der Fall um den 2007 auf offener Straße ermordeten armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink zeugt nicht gerade von einem fortgeschrittenen Gerechtigkeitsbewusstsein. Seit Jahren versandet der Fall, weil systematisch Zeugenaussagen gefälscht und Beweissmittel beseitigt werden.
Der gesamte türkische Polizeiapparat ist seit Jahren von der sektenartigen Organisation eines der dubiosesten Gestalten der türkisch-islamischen Diaspora unterwandert: „Fethullah Gülen“. Gülen lebt seit Jahren in Amerika – ist aber eine unbestreitbar mächtige Gestalt im Land und auch in vielen Bereichen der islamischen Welt. Vor allem hat er ein riesiges Kapital im Rücken, von dem keiner genau weiss, wo es herstammt. Er leitet ein gigantisches Imperium von Seilschaften im wirtschaftlichen Bereich und beeinflußt die politischen Vorgänge im Land massiv.
Wichtige städtische und staatliche Kulturinstitutionen – wie z.B. die Theater – werden gerade von geradlinigen und strenggläubigen Bürokraten unterwandert, die die Intendanz der größten Kultureinrichtungen des Landes übernehmen und im Grunde natürlich nichts anderes machen, als zu zensieren (das äußern sie unverblümt selber in Diskussionsrunden im Fernsehen).
Die Türkei ist momentan in aller Munde und Istanbul als Metropole scheint groß zu boomen, aber die Entwicklungen in dem Land sind alles andere als romantisch. Es empfiehlt sich skeptisch zu sein und stark zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang spielt Atatürk immer noch eine große Rolle, denn auch in Anbetracht seiner historischen Schwächen, sollte man sich gerade jetzt auf seine positiven Errungenschaften besinnen und ihn im Spiegel der Zeit bewerten, in der er gelebt hat und auch im Rahmen der historischen Bedingungen.
Die Partei Tayyip Erdoǧans vertritt hingegen eine neue Form von Turbokapitalismus, die sich ganz bewußt immer weiter weg entfernt von einem sekularen Ansatz und somit auf gefährliche Weise Islamismus mit eindimensionalen neoliberalen Visionen zusammenbringt.
Wenn die innen- und aussenpolitischen Entwicklungen wieter so voranschreiten und die Türkei mit der chauvenistischen Haltung wie bisher auch noch als Regulator in nahen Osten auftritt und sich vielleicht sogar dazu verleiten lässt, in Syrien einzumarschieren, dann wird man sich wieder Mustafa Kemal Atatürk zuwenden und ihn sich herbeisehnen – vielleicht diesmal mehr nach seinen Inhalten, die er mit einer großen Visionskraft in den 20’er Jahren dieses Jahrhunderts auf den Tisch gelegt hat und weniger nach seiner leeren Heldenfassade.
Eines kann man bei aller Atatürkkritik nicht ignorieren: Er war einer der größten Staatsmänner seiner Zeit und hat die demokratischen Grundwerte geschaffen, auf deren Basis sein Erbe selber jetzt bekämpft wird. Es lohnt sich, ihn zu kritisieren, aber gegen ihn zu Felde zu ziehen, oder gar ihn zu ignorieren, wird nichts bringen. Das ist reine Verschwendung wertvoller Gewissensressoucen. Wer Atatürk als grausamen Diktator hinstellen will, der sollte das im gleichen Zuge mit Churchill und De Gaulle auch tun. Diese werden jedoch differenziert im Spiegel ihrer Zeit gesehen und das hat dieser Mensch meiner Meinung nach auch verdient.

Ein kleiner Streifzug durch eine meiner zwei Heimatstädte

Das Konstantin Lips Kloster wird ca. 907 eingeweiht und war ursprünglich eine Klosterkirche. Der Name rührt von dem Bauherrn Konstantin Lips her, der einer der großen Flottenadmiräle des Byzantinischen Heeres war. Leider waren seine Nachfolger scheinbar nicht so erfolgreich, da sie es den Lateinern (also den Kreuzrittern) es ermöglichen, 1204 die Stadt dem Erboden gleich zu machen und auch diesen Bau stark zu beschädigen. Aber kurz nach der Lateinerherrschaft nimmt sich die Kaiserin Theodora ((gest. 1303, Gattin Michaels VIII. Palaiologos) des Gotteshauses an und stiftet einen Südkirchenanbau, der als Grablege für ihre Dynastie dienen wird.
Das für Laienauge recht unscheinbar wirkende alte Gemäuer liegt direkt am Adnan Menderes Boulevard und wird seit der Eroberung der Stadt der Städte durch Fatih Sultan Mehmet dem Eroberer unter dem Namen Fenari Isa als Moschee genutzt.

Hier übrigens der Links zu Google-Maps:
http://maps.google.com/maps?oe=utf-8&rls=org.mozilla:en-US:official&client=firefox-a&um=1&ie=UTF-8&q=fenari+isa+camii%2Bharita&fb=1&gl=tr&hq=fenari+isa+camii&cid=0,0,11079106005555239233&ei=4hmQT9alMobJsgbA-tScBA&sa=X&oi=local_result&ct=image&ved=0CA4Q_BI

Dieser Adnan Menderes, nach welchem der Boulevard benannt wurde, ist übrigens ein ehemaliger Premier der Türkischen Republik, dessen Regierung 1960 von einer Militärjunta weggeputscht wird. Er selber und zwei weitere Mitglieder des Kabinetts werden kurz darauf auf Yassi Ada (die flache Insel) im Marmara Meer erhängt. Ein trauriges Schicksal für einen Premier. Man kann sich denken, dass es zu dem Mann einiges zu sagen gibt. Er war ein größenwahnsinniger und der erste einer Reihe von neoliberalen Politikern, die der vermeintlich „freien Marktwirtschaft“ Tür und Tor öffneten und den Einzug in die türkische Wirtschaftspolitik erleichtert haben. Er hat Schulden aufnehmen lassen bei Onkel Amerika und frisches Kapital in die Märkte strömen lassen.

Das waren die 50’er. In dieser Zeit kamen all die Plymouths, Chryslers, Cadillacs und Dodges auf die Istanbuler Straßen. Alte schwere, gemütliche, komfortable Karossen, von denen einige noch bis in die 90’er hinein als Dolmus (Sammeltaxi) benutzt wurden. In den 80’ern sah es in den Straßen von Istanbul daher noch aus, wie auf Cuba, wo die Luxusflügelwägen aus dem gelobten Land des Kapitalismus zur selben Zeit Einzug hielten.

Die Insel Yassi Ada hat in der Zeit ihrer bisherigen Nutzung durch den Menschen nicht sonderlich vlel schönes erleben dürfen. Ab der spätkaiserzeitlich-Römischen Epoche (4. Jhd. n. Chr.) wurde sie als Verbannungsinsel für ungezogene Prinzen und Regimefeinde genutzt – weswegen die ganze Inselgruppe in Touristenführern immer noch als „Prinzeninseln“ bezeichnet werden. Lange Zeit ungenutzt, wurde sie dann Anfang des 19. Jhd’s von einem englischen Diplomaten aufgekauft und später wieder verkauft, bis sie in die Hände des türkischen Militärs geriet, das – wie oben schon erwähnt – nur Unfug damit trieb. Jetzt steht sie wieder leer.

Das Militär war ja in diesem Land fast so etwas wie eine permanente Heuschreckenplage. 3 mal hat es in republikanischer Zeit geputscht. Aber die Staatstreiche in vorrepublikanischer Zeit sind kaum an allen 10 Fingern mehr abzuzählen. In osmanischer Zeit kosteten die Yanitscharen (eine Eliteeinheit des osmanischen Heeres – ungefähr so wie die Prätorianer in Rom) in Istanbul einigen Sultanen den Kopf.

Das erste mal in der Geschichte des Landes stehen jetzt hohe Militärs gerade vor Gericht, und zwar auf Grund von vormals durchgeführter und aktueller Putschversuche. Fast die ganze Heerleitung sitzt momentan im Knast und es werden immer mehr Offiziere und Generäle. Die neue Regierung hat sich die Aufarbeitung der Vergehen des Militärstabs, sowie die Verhinderung aktueller Putschbestreben auf die Fahne geschrieben. Und derer gibt es anscheinend immer noch genug. Jeden Tag werden neue heimliche Waffendepots und Munitionsarsenale aufgedeckt. Die Nachrichtenmeldungen haben etwas surreales. Man fühlt sich in einem nichtenden wollenden schlechten B-Movie-Polit-Thriller, der mit den Genres Reality-TV und Standup-Comedy kokettiert.

Der Berufszweig mit den nächst-meistverhaftetsten Zugehörigen ist natürlich der der Journalisten. Die können hierzulande nämlich richtig unangenehm werden. Einige von ihnen sind äußerst gewissenhaft und zielstrebig und schreiben interessante Bücher, wie der soeben auf freien Fuß gesetzte und gleich wieder mit Anzeigen überhäufte „Ahmet Șık“.

Hier wird einem nie langweilig scheints.

Schnüffler

Ein guter Schnüffler muss wohl felsenfest davon überzeugt sein, dass es bei ihm selber nichts zu erschnüffeln gibt, um seine Arbeit, nämlich das Schnüffeln in anderer Leute Kram, gewissensfrei bewerkstelligen zu können. Andernfalls würde er sich ja ständig darum sorgen müssen, dass er selber auch beschnüffelt wird.
Natürlich wird er das und er weiss auch, dass er das wird, aber im Grunde – so denke ich mir – könnte er sich dann noch denken: „Wer bei mir rumschnüffelt ist ja selber schuld, denn er findet ja eh nix“. Aber so naiv kann ja eigentlich kein Schnüffler sein. Denn wenn ein Schnüffler was finden will, dann findet der auch was, nicht wahr?
Und so kommt es auch ab und an zu bösen Animositäten unter Schnüfflern. Na und da kann es  schon mal unangenehm werden, so wurde mir verlautbart – aus einer sicheren Quelle, die sich in Schnüfflerkreisen auskennt.

Ich mag Facebook nicht

Ich mag Facebook nicht, denn es frisst Zeit, bindet Energien und Aufmerksamkeit und gaukelt einem vor, man wäre mehr als je zuvor in ein soziales System eingebunden. Es verändert einen. Man kauft sich ein Smartphone und stellt Bilder Online. Man ist ständig am Kommunizieren, ohne wirklich zu kommunizieren.
Man wird zur Marketingmaschine, die vermeintlich sich selbst promotet (ideal für Kreative, Musiker etc.), aber eigentlich promotet man nur Facebook.
Schlimm ist es, dass die meisten, die ich kenne, einen komischen Rechtfertigungsprozess aufrollen, wenn sie jemandem wie mir begegnen, der Facebook nicht mag und auch offen dazu steht. Es ist wie mit religiösen Fanatikern, die dich unbedingt von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugen müssen, damit sie nicht in ein Gewissensloch fallen und ihre bröckelige Fassade auch den heutigen Tag noch übersteht. So hat man ständig mit einer unglaublich effektiv funktionierenden Missionierungswelle zu kämpfen, der man sich kaum entziehen kann.
Deswegen habe ich jetzt auch einen Account, den ich so gut wie nie nutze. Aber ich habe einen – für alle Fälle. Obwohl mich diese erhobenen Daumen und diese ständigen aufdringlichen Forderungen nach meinen Privatinfos, Bildern, Kontakten, Berufliche Infos, Vorlieben etc. schon anekeln. Auch wie sich meine Freunde zu hippen Facebookfanatikern wandeln, die alle schon in der selben Sprache miteinander reden, ekelt mich eigentlich an. Dadurch werden alle so gleich, obwohl sie doch im Grunde so viel Wert auf Individualismus legen. Auch dieses ständige gut drauf sein ist doch fürn Arsch – mal ganz ehrlich – das glaubt euch doch eh keiner! Und wenns so wäre, dann müsstet ihr schon sehr ignorant sein in Anbetracht der heftigen Dinge, die sich gerade auf der Welt ereignen. Ich mag meine Freunde auf jeden Fall viel lieber ohne Like-Button unter dem Kragen.
Alle werden sie zu Vasallen eines gewieften Geschäftsmannes in seinen End-zwanzigern, der sich jetzt einiges erlauben kann. Er hat fast die ganze Kommunikation im Netz vermonopolisiert. Eine Firma kontrolliert die Online-Kommunikation der ganzen Welt und alle machen grinsend mit.
So ging es mir mit Myspace auch schon. Wobei ich ehrlich gesagt jetzt das alte Myspace herbeisehne. Da war alles noch etwas sinnvoller und nicht so verdammt aufdringlich. Auf Myspace waren viele Menschen kreativ, machten Musik oder sonstirgendwas. Auf Facebook wird Alltagsbanalität produziert, nur etwas oberflächlicher als im wirklichen Alltag. Es ist dröge und dämlich, finde ich.
Und immer diese rumargumentiererei: „Aber ich habe so viele Leute auf Facebook wiedergefunden, die ich wohl sonst nie mehr wieder gesehen hätte“ – Na und? Du bist doch nur ein Mensch. Du kannst nicht mit der ganzen Welt kommunizieren, auch wenn dein Smartphone dir was anderes predigt! Besinn dich mal aufs Wesentliche. Und mal ganz ehrlich: Willst du wirklich jeden wiedersehen aus deiner Vergangenheit? Man hat doch immer nur ein Idealbild von früheren Bekannten und das trifft doch in den seltensten Fällen noch zu. Und im Grunde ist es doch so: Wenn jemand dir wirklich noch seelisch nahe ist, dann taucht der schon wieder auf. Keine Sorge!
Also ist Facebook einfach nur eine Illusion, ein Bedürfniss, dass nicht wirklich vorherrscht, sondern uns nur als Notwendigkeit untergejubelt wird, damit wir mehr Geld verdienen, um noch mehr Geld ausgeben zu können.
Sogar mich hatte mal der Rappel gepackt und ich dachte mir: „Los, du musst jetzt dein Leben verändern: Twittern, Facebooken, Bloggen was das Zeug hält, ein Macbook kaufen, ein Tablet, ein Smartphone, Kindle und und und….
Und dann hat Gott sei dank die alltägliche Lethargie wieder eingesetzt und sich von alledem nur noch dieser lumpige Blog erhalten, den ich aktualisiere, wenns mir gerade passt.
Ich habe eh wenig Zeit für Muße. So hätte ich mir selber die Zeit gestohlen und mein Geld verschwendet. Gesegnet seien die Gemütlichkeit und die Lethargie. Sie haben mich vor der Versklavung bewahrt.
Die grosse Masse der Menschen, sind nämlich Sklaven und sie waren es schon immer. Facebook ist ein grosser Sklavenzoo.

Sklavenzoo!
Sklavenzoo!
Sklavenzoo!

Jetzt Reichts: Basheer al Assad hat Emailkontakt mit Verehrerinnen!

Einsame Despoten in der Endphase ihrer Ära haben eine enorme Wirkung auf die Menschen. Natürlich auch auf mich. Ich versuche sie mir vorzustellen in einem ihrer riesigen Paläste, in einem großen Schlafgemach mit barock-kitschiger Ausstattung. Vielleicht sitzen sie am Computer und surfen studenlang sinnlos in der Gegend rum, um sich abzulenken, wie unsereiner auch, wenns ihm mal schlecht geht.

So auch vielleicht die Situation bei den Assads: Vielleicht liegen ihre Klamotten kreuz und quer im Zimmer nach dem späten Frühstück, dessen Reste noch auf dem Tablett zerstreut sind und Frau Assad liest gerade Vogue, gelangweilt im glitzernden Seiden-Negligé, das in dem überspannten Basheer schon lange keine Libidoregung mehr hervorruft. Die Kinder sind schon ausser Landes gebracht, die Entourage verzieht sich peu á peu. Die Macht versickert in den Ritzen und Ecken des Palastes, hinter den Girlanden und Bordüren, den überladen verzierten Aufsätzen der vergoldeten Möbel.

Ach, was weiss ich? Irgendwie gewöhnt man sich an die Systematik, die hinter den politischen Vorgängen im vorderen, mittleren und fernen Orient innerhalb des letzten Jahrzehnts zu stecken scheinen: Twin Towers, Colin Powell, Afghanistan, Irak, Saddam, Ghaddafi, Mubarak, Osama und jetzt Basheer. Die Demontage einer selbstinstallierten Gaunerriege schreitet voran. Die Geheimdienste arbeiten im Akkordbetrieb. Meinungen werden gemacht, Nachrichten manipuliert, Menschen diskreditiert und die Öffentlichkeit wird abgelenkt, wie eine Katze mit dem Ball an der Schnur. Und wenn sie springen soll, dann springt sie schon – früher oder später!

Die Katze namens „weltweite Öffentlichkeit“ hat schon einige Spielzeugbälle verschlissen. Der neueste heisst jetzt Basheer al Assad. Bald wird auch er zerfetzt sein, blutverschmiert und besudelt mit Dreck. So wird er aus irgendeinem Loch gezogen werden von seinem ehemals treu dienenden Volk.

Was mag so ein Despot an seinen letzten Tagen wohl denken? Das interessiert uns natürlich und wir sind verwundert darüber, dass abgefangene Privatmails ein ganz anderes Bild von Basheer zeichnen: äußerst gelassen scheint der Bösewicht mit attraktiven Frauen weltweit romantisch zu flachsen, während seine nicht minder attraktive Ehefrau ihre Aufgabe als solidarische und loyale Despotenhausfrau zu erfüllen scheint.

Wir wundern uns über Vorlieben und Musikgeschmack des Diktators, der bis vor kurzem noch ein opportunes Staatsoberhaupt war. Wir wundern uns, ob der vermeintlich gänzlichen Ignoranz, seinem bevorstehenden Schicksal und der Greuel gegenüber, die er gerade seinem Volke antut.

Wir wundern uns und suhlen uns in unserem Voyeurismus. Nur über eines wundern wir uns nicht: das es daran eigentlich nichts zu wundern gibt, denn wir tun ja das selbe tagein tagaus. Ist es verwerflicher, wenn ein Despot genau das tut, was Milliarden von Menschen auf dieser Welt auch tun: Schlechte Musik hören und ihre Frauen betrügen?

Unser Wundern zeigt nur eines auf: unsere Entmenschlichung und unsere Naivität, die uns ganz vergessen lässt, dass dieses Tier, dass wir da betrachten, eigentlich in uns allen steckt.

Wir sind eben Menschen und haben uns technisch wahnsinnig entwickelt seit der Steinzeit, aber in unserer menschlichen Entwicklung gab es da relativ wenige erwähnenswerte, effektiv und nachhaltig wirkende Errungenschaften.

Bin ich cool?

Ich sah ihr lange tief in die Augen und wunderte mich über meine eigene Dreistigkeit
Sie war unnahbar. und sie schmetterte meinen Blick mit einem Hauch von Ignoranz ab. Wohl in der Annahme, dass dieser Hauch ausreichen würde, um ihr Ego zu befriedigen. Das tat er dann wohl auch. Solche Blicke sieht man viele und es werden immer mehr.

Es sind coole Blicke mit den stereotypen Merkmalen einer urbanen Sexyness, eingehüllt in Farbvarianten von orientalisierenden Schals und V-Ausschnitten in male und female. Man bemerkt, wie man selbst diese Merkmale karikiert, aber sie dennoch irgendwie übernimmt, wie sie ganz subtil übergehen in die eigene Identität.

Mit Schaudern entdeckt man dann dieselben Merkmale auf dem Titelbild einer Livestyle-Zeitschrift für Twens, die beim Bäcker auf dem Tresen liegt.

Spätestens dann wird einem bewußt, dass man auf dem Holzweg ist, dass man sich vorgegebenen Marketingmustern schon längst gefügt hat, dass man sich auf der Suche nach sich selbst im Unterbewusstsein eines semiprominenten Sternchens verloren hat.

Im Endeffekt wissen wir alle, dass wir uns unseren Anspruch auf ewige Coolness abschminken können. Irgendwann bricht sie in jedem auf, die Uncoolness – das Unbeholfene – und bringt uns für Bruchteile von Sekunden zurück in die Kapsel unserer embryonalen Unschuld.

Dort fühlen wir uns doch am wohlsten, aber wir können diesen Zustand nicht ertragen, weil wir genau um die Schutzlosigkeit bescheid wissen, die derselbe mit sich bringt und weil wir wissen, wie Menschen sich auf schutzlose Embryonen stürzen in dieser Welt der zivilisierten Hyänen.

Vor allem weiss man über die eigene Grausamkeit bescheid. Im tiefsten Unterbewußtsein lauert das eigene Tier.. Es ist die Angst vor diesem Tier, das das klare Bild vom Bösen in unserem Kopf definiert. Kein wunder, dass dann natürlich immer die anderen Schuld sind.

Meist sind es die, die sich vermeintlich immer besser darzustellen wissen, als wir selbst. Immer in der richtigen Welle liegen, die jetzt als cool gilt: egal ob nachhaltig denkend, oder koksend im Retro-Porsche Carrera. Je nachdem, was gerade so ansteht. Flexibilität ist das Stichwort der Zeit!

Eine Coolness-Kategorie wäre damit schonmal umrissen: Nämlich die derjenigen, die sich selbst immer in lässiger Überlegenheit sehen. Dann gibt es noch die, die sich nie so bezeichnen würden, aber insgeheim immer hoffen, das die anderen das tun. Und es gibt diejenigen, die bewusst uncool sind. Die sind einfach nur nervig. Ja und zu guterletzt gibt es ja noch die, die primär nie an Coolness denken, ja gar nicht so recht wissen, was damit gemeint ist. Das sind mitunter die coolsten.